ADAC-Notrufstation ADAC-Notrufstation: Pechvögel am Telefon
Halle/MZ. - Zweifel sind Mirko Hätte ein einziges Mal gekommen: Ist der Job in der Notrufzentrale wirklich das Richtige? Ausgerechnet in seiner allerersten Nachtschicht starb ein Mensch, dem er eigentlich helfen sollte. Von der ADAC-Station in Barcelona aus.
Der schwere Verkehrsunfall am Flughafen in Almeria (Spanien) mit einem Mietwagen liegt zehn Jahre zurück. Doch die Bilder kommen immer wieder. Mirko Hätte sitzt an seinem Computer, schließt die Augen und beschreibt, wie sich die Tür des Krankenwagens schließt. Dahinter ein junger Mann. Tot. Vor dem Auto liegen sich zwei Frauen verzweifelt in den Armen. Die Ehefrau des Verunglückten hat er dabei noch immer an der Strippe. Tonlos. Noch bevor Hätte Hilfe organisieren kann, bestätigt ein Arzt den Tod des Mannes. Hätte hört es am Telefon. Unter Schock übergibt er den Fall an einen Mitarbeiter.
Gesehen hat Mirko Hätte das Drama nie. "Aber so muss es gewesen sein, so war es", ist der Mitarbeiter der ADAC-Station in Barcelona bei der Beschreibung der Bilder sicher. Obwohl es zehn Jahre her ist. Inzwischen hat der 33-Jährige Tausende Hilferufe entgegen genommen, Freud und Leid kennen gelernt. "Ich kann mir keinen besseren Job vorstellen", sagt Mirko Hätte. Die Zweifel sind vorbei.
Geboren und aufgewachsen ist Hätte in Bad Frankenhausen, das viele Jahre zu Sachsen-Anhalt gehörte und heute in Thüringen liegt. "Meine Familie lebt noch da, und mindestens einmal im Jahr bin ich dort", sagt er. "Zum Birnenpfanne-Essen und Hasseröder-Trinken", merkt er auf die Frage an, was er in Spanien denn am meisten aus seiner Heimat vermisse. Leider sei "tote Hose" in Bad Frankenhausen. Wer weiß, ob er sich mit seiner spanischen Frau, die er während der Ausbildung als Hotelfachmann in Wernigerode kennen gelernt hat, anderenfalls nicht in der Nähe von Bad Frankenhausen niedergelassen hätte. "Momentan sehe ich keine Perspektive in Deutschland", sagt Mirko Hätte nüchtern. Auch seine Frau hat Arbeit in Barcelona, die vierjährige Tochter Nuria besucht die Schule.
"Mirko ist ein Glücksfall für unsere Notruf-Station", sagt Diana Albiol Schnitger, seine Vorgesetzte. Er spricht Spanisch und Englisch, habe eine einfühlsame Art und Organisationstalent, wie es für die unterschiedlichen Notfälle nötig sei. Insgesamt arbeiten 65 Mitarbeiter aus elf Nationen in der ADAC-Notrufstation Barcelona, in der Hilferufe aus Spanien und Portugal auflaufen. 80 200 waren es 2009, vor allem nach Pannen, Unfällen, Krankheiten oder Diebstahl. Den Unglücksraben wird in 13 Sprachen geholfen.
"Juchu", entfährt es Mirko Hätte plötzlich. "Mehr als 1 000 Euro gespart!" Tags zuvor hatte sich der verzweifelte Fahrer eines alten VW-Transporters bei ihm am Telefon gemeldet: Für die Reparatur an der Bremsanlage wollte eine spanische Werkstatt 1 300 Euro haben. Der Automobilclub organisierte das entsprechende Teil aus Deutschland - und die Rechnung schrumpfte auf 188 Euro. Alles hat geklappt. Binnen 24 Stunden. Der sonst so stille Mirko Hätte stößt einen Freudenschrei aus. "Wenn ich einen Fall annehme, dann versuche ich schon, ihn bis zum Ende zu verfolgen."
Meist lägen zwischen dem Eingang eines Notrufes und dem Dankeschön des Pechvogels nur wenige Stunden; mitunter beschäftigten die Mitarbeiter Fälle aber auch über Tage oder gar Wochen, erzählt Hätte. Zum Beispiel dann, wenn Krankenhausaufenthalte nötig sind. Da gibt es immer wieder Kontakte zum Patienten, zu den Ärzten und Angehörigen. Auch Blumensträuße werden vorbeigebracht.
Die Krankheitsfälle, die nicht immer im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall stehen müssen, treiben Walter Holzhammer, Leiter der Schadenbearbeitung der ADAC-Versicherungen, besonders um: "Es gibt immer noch Urlauber, die ohne Auslandsreiseversicherung unterwegs sind." Dabei raten Verbraucherschützer und die gesetzlichen Krankenkassen dringend zu solch einem Schutz. Denn auf den Kosten für einen Rücktransport bleiben Betroffene ohne spezielle Auslandspolice sitzen. "Von den kanarischen Inseln nach Deutschland kostet so ein Transport bis zu 20 000 Euro. Ohne Arztkosten", sagt Holzhammer.
Aber auch die Behandlungen belasten die Urlaubskasse immens. Und ein gesetzlich Versicherter aus Deutschland hat im EU-Ausland nur Anspruch auf Erstattung der Leistung, die einem Versicherten des Gastlandes in einem vergleichbaren Notfall durch seine Kasse zusteht. Für die Behandlung einer Oberschenkelhalsfraktur in Spanien fallen laut Holzhammer bis 20 000 Euro an; in Deutschland werden nur bis 13 000 Euro erstattet. Eine Bypassoperation in der Türkei kostet bis 35 000 Euro, in Deutschland gibt es höchstens 15 000 Euro.
Auch Mirko Hätte ist froh, wenn er bei der Aufnahme der Daten seiner Anrufer hinter dem Stichwort privater Auslandsschutz ein Häkchen machen kann. "Helfen tun wir immer", sagt der ADAC-Mitarbeiter in Barcelona. Aber es sei wesentlich angenehmer, die Hilfe im Rahmen der Plus-Mitgliedschaft oder einer Versicherung zu organisieren, statt über Geld reden zu müssen. Das gelte für Klinikaufenthalte genauso wie für Panneneinsätze, Ersatzteilbeschaffung, Übersetzungshilfe, Autorückführung oder Hotelsuche.
Wo er in all den Jahren hat kapitulieren müssen? Wie aus der Pistole geschossen sagt Mirko Hätte: "Bei der Frage, wann die Aschewolke vorbei ist."