«Anonyme Insolvenzler»: Gruppe hilft nach Firmenpleite
Köln/dpa. - Er hatte lange versucht «den letzten Schritt» zu vermeiden. Doch eines Tages ging es nicht mehr: Die Bank hatte sein Konto gesperrt, die Lebensversicherung war aufgelöst - und die Gläubiger wollten ihr Geld sehen.
«Es war das gefühlte Todesurteil», sagt Attila von Unruh als er über seine Firmenpleite spricht. «Es war eine unheimliche emotionale Belastung.» Als seine Familie und seine Freunde, inzwischen selbst erschöpft von dem Insolvenz-Thema, ihm nach Monaten nicht mehr bei seinen Problemen zuhören konnten, machte er sich auf die Suche nach Gleichgesinnten.
Weil er im Internet niemanden finden konnte, gründete er im November 2007 den Gesprächskreis «Anonyme Insolvenzler» - angelehnt an die Selbsthilfegruppe für Alkoholkranke. Nach von Unruhs Angaben ist es der erste Gesprächskreis dieser Art in Deutschland. Ein Mal im Monat treffen sich seither die mittlerweile 15 Teilnehmer in einem Kölner Veranstaltungszentrum. Nicht, um sich selbst zu bedauern, sondern um das angeknackste Selbstwertgefühl wieder aufzubauen. In Deutschland gingen 2007 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa 29 000 Firmen pleite, rund 105 000 Privatinsolvenzen gab es.
Nur wer selbst betroffen sei, verstehe auch, wovon der andere spreche, sagt der 47-Jährige. Es sei wichtig, die eigene Lage in Unterhaltungen zu reflektieren, und sie nicht mit Alkohol zu betäuben, erklärt von Unruh. Vor zwei Jahren ging seine Eventmarketing-Agentur, die eigentlich schon verkauft war, pleite: Dem Käufer war der Investor abgesprungen, von Unruh haftete mit einer Bürgschaft.
Auch der 48-jährige Günter Fischer (Name geändert) besucht die Treffen regelmäßig. «Das gibt mir das Gefühl einer sozialen Gruppe anzugehören, die so ist wie ich», sagt Fischer. Vor zehn Jahre hatte er mit seinem Naturkost- und Reformwarenhandel eine Pleite mit 99 Gläubigern verkraften müssen. Höhe der Schulden: 300 000 Euro. In dem Kreis müsse man einfach nicht alles von vorne erklären, betont Fischer.
Wenn einer der Insolvenzler erzählt: «Die Bank hat mir den Hahn zugedreht», dann weiß jeder, was das bedeutet, was da noch alles dran hängt. Das gesperrte Telefon zum Beispiel oder die Wohnungsmiete, die nicht mehr raus gehe. Der Kölner Gesprächskreis sei aber nicht dafür da, individuelle Lösungen zu finden. «Wir sehen den Gesprächskreis als Ergänzung zur Schuldenberatung», sagt von Unruh. Die Beratung kläre die Formsachen, der Kreis die emotionalen Probleme.
Freunde hält er meist nicht für gute Gesprächspartner. Außerdem sei Insolvenz noch immer ein Tabuthema in der Gesellschaft, weil es mit «Scheitern» verbunden ist. Die oftmals gut gemeinten Ratschläge oder Kommentare von Freunden seien meist sogar «unangemessen», sagt von Unruh. Immer wieder berichten Teilnehmer von demütigenden Erfahrungen und unsensiblen Sprüchen, unter denen das Selbstwertgefühl der Betroffenen zusätzlich leide.
Viele würden auf solche Erlebnisse hin einen «Schutzwall» um sich herum aufbauen und sich von Freunden und Familie zurückziehen. Deshalb müssten Neulinge im Gesprächskreis meist erst einmal aus der «sozialen Isolation» geholt werden, erläutert Fischer. Er selbst sei damals sogar in eine andere Stadt gezogen, weil er sich in der Kleinstadt mit 80 000 Einwohner «zwischen Scham und Spott» bewegt habe.
Nach mehreren Besuchen hätten die Betroffenen dann oft so etwas wie einen «Aha-Effekt», erzählt von Unruh. Sie würden merken, dass sie auch ohne Geld etwas wert sind und schöpften neue Kraft. Wie weit es gehen kann, wenn Menschen den Glauben in sich selbst verlieren, schildert von Unruh anhand einer Betroffenen: «Die Frau war Unternehmerin, hatte 25 Angestellte.» Nach der Pleite habe sie sich einen 400-Euro-Job gesucht, habe gedacht, es wolle sie niemand mehr. Inzwischen habe sie aber wieder realisiert, dass es auch ein zufriedenes Leben nach der Insolvenz geben kann.
Weitere Auskünfte: www.anonyme-insolvenzler.de