Angriffe auf Lehrer und Mitschüler Angriffe auf Lehrer und Mitschüler: Wie gewalttätig sind unsere Grundschüler wirklich?

Köln - Ein bisschen Raufen und Gerangel auf dem Pausenhof, das kennt man. Gerade jüngere Schüler tragen Konflikte auch mal physisch aus. In letzter Zeit aber häufen sich Berichte, dass in manchen Grundschulen viel und extreme Gewalt stattfindet, dass Mitschüler absichtlich verletzt und Lehrer angegriffen werden. Eine Grundschule in Berlin-Schöneberg hat daraus jetzt Konsequenzen gezogen und engagiert seit kurzem einen privaten Sicherheitsdienst, der für einen geordneten, gewaltfreien Ablauf sorgen soll. Auch in Neukölln hatten Schulen bereits zuvor Wachdienste engagiert. Sind das Einzelfälle oder sind unsere Schulen wirklich so gewalttätig geworden?
„Das sind erschreckende Einzelfälle“
„Nach meinen Erkenntnissen sind das tatsächlich Extrembeispiele, erschreckende Einzelfälle“, sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger. Es sei nicht auszuschließen, dass es weitere Schulen mit diesen Problemen gebe. „Aber das ist auf keinen Fall repräsentativ für die Situation an deutschen Grundschulen.“ In einer aktuellen Befragung von Schulleitern sagten nur ein Prozent der Grundschul-Schulleiter, dass Gewalt bei ihnen eine nennenswerte Rolle spielt.
Und doch gibt es Studien, die auch anderes zeigen. Bei einer Befragung des Verbands Bildung und Erziehung von 2016 berichteten mehr Lehrer an Grundschulen über Gewalt als etwa an Gymnasien oder Realschulen. Dass die Zahlen so hoch sind, liege womöglich an der Frage, wie man Gewalt definiere, sagt Meidinger. Es komme eben eher vor, dass an der Grundschule mal ein Gerangel sei, während man bei einer weiterführenden Schule oft erst dann von Gewalt spreche, wenn tatsächlich eine Verletzung zu sehen wäre.
Cybermobbing fängt schon in Grundschulen an
Was aber unbestritten sei, ist der Anstieg der psychischen Gewalt. „Es gibt eine besorgniserregende Entwicklung im Bereich des Cybermobbings“, sagt Meidinger. Dass Mitschüler gezielt im Internet bloßgestellt und verleumdet werden, komme inzwischen schon in Grundschulen vor. „Solche Phänomene hatten wir natürlich vor zehn oder 20 Jahren noch nicht.“
Deshalb dürfe man aber kein Bild einer moralisch verwahrlosten Generation zeichnen, warnt Heinz-Peter Meidinger, der selbst Lehrer ist. „Das Aufwachsen in der heutigen Gesellschaft ist sicher nicht einfacher geworden.“ Kinder seien schon in jungen Jahren mit enormen Herausforderungen, einer Flut an Informationen und auch manchmal verstörenden visuellen Eindrücken übers Internet konfrontiert, die sie erst verarbeiten müssten.
Die Ursachen der Gewalt sind vielfältig
„Auch Unterricht und Erziehung sind definitiv schwieriger geworden. Weil es eine heterogenere Schülerschaft gibt.“ Und genauso vielfältig seien auch die Ursachen von Gewalt. Manche Kinder erlebten zuhause selbst Gewalt und würden deshalb auch so ihre Konflikte lösen. Andere seien von Gewaltdarstellungen in den Medien beeinflusst. Manche suchten aus Langeweile den Kick in gewalttätigen Mutproben.
Schulpsychologen helfen in Konfliktsituationen
Die Schulen versuchten, diese Probleme präventiv anzugehen. Es gehe darum, Schülern Werte des Miteinanders zu vermitteln, aber auch konkret Etikette im Netz beizubringen. Bei einem tatsächlichen Fall von physischer oder psychischer Gewalt sei es dann ganz wichtig, dass man ein multi-professionelles Team habe, sagt Meidinger. „Wir als Lehrpersonal müssen immer wieder den Versuch unternehmen, das zu leisten. Dazu brauchen wir aber die Unterstützung von Schulpsychologen und -sozialarbeitern.“
Genau davon aber gebe es an Schulen immer noch zu wenig, sagte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) der dpa. Wenn die Schulen gesamtgesellschaftliche Probleme lösen sollen, müsse man sie besser ausstatten.
Ist privates Wachpersonal also doch die Lösung, um diese Lücken zu füllen? „Da bin ich sehr skeptisch“, sagt Heinz-Peter Meidinger. „Wenn man in Grundschulen schon Wachpersonal einsetzt, muss die Situation sehr verzweifelt sein. Ich kann mir das nur als vorübergehenden Einschüchterungseffekt vorstellen. Das als dauerhafte Lösung halte ich doch für eine Kapitulation der Pädagogik.“