1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Zur Beisetzung von Einar Schleef: Zur Beisetzung von Einar Schleef: Letzte Reise durch die Landschaft der Kindheit

Zur Beisetzung von Einar Schleef Zur Beisetzung von Einar Schleef: Letzte Reise durch die Landschaft der Kindheit

Von Andreas Hillger 15.08.2001, 15:40

Sangerhausen/MZ. - Diesalso war die Landschaft seiner Kindheit. Unddies ist das grandiose, manchmal auch monströseManifest des Einar Schleef, der am Mittwoch in seinerHeimatstadt Sangerhausen zu Grabe getragenwurde.

Wer die Dramaturgie dieses Künstlers verstehenwill, muss sich sein Leben veranschaulichen:Die Jugend in der Enge der thüringischen Stadtzwischen Landwirtschaft und Bergbau, die bleibendenErinnerungen an das archaische Dasein derGroßmutter und an die dauernde Angst der Muttervor dem Nachkriegs-Hunger. In seinem großartigenEssay wechseln solche dunklen, mit bestürzenderIntensität beschriebenen Passagen bruchlosmit hellsichtiger Reflektion über Nietzsche,Goethe und Wagner.

Und dann ist da noch die Beschreibung jenesKrankenhaus-Jahres, in dem Schleef als 16-Jährigerdie Folgen eines schweren Unfalls kurierte:"Ich war nur Schmerz". Eine erste Erfahrungder eigenen Sterblichkeit und die schwere,nur in der Kunst reparable Sprachstörung bliebenihm aus dieser Zeit.

In Eisleben ein Dejà vu: Während der Zug dieLutherstadt passiert, erzählt der Autor vonder Suche nach einer früher hier aufgestelltenLenin-Statue, die er im Roman "Gertrud" beschriebenhatte und die er 1992 für seine Ausstellung"Republikflucht Waffenstillstand Heimkehr"im Berliner Zeughaus zwischen anderen Reliktenwiederfand. Dass die Präsentation der Skulpturvor dem Marstall Widerwillen erregte, liegtauf der Hand.

Rückblickend bleibt es ein sprechender Belegfür Schleefs tiefe Wurzeln in der mitteldeutschenRegion und für seinen obsessiven Umgang mitder eigenen, leidvollen Geschichte. Es istdieses "Potential des Widerstands gegen denSchwund von Gedächtnis und Erfahrung", dasHeiner Müller lobte.

Der Friedhof von Sangerhausen ist ein stiller,schattiger Ort. Unter den alten Bäumen undzwischen den Gräbern wartet man geradezu aufjene alten Frauen, denen Schleef mit seiner"Totentrompeten"-Trilogie ein liebevollesDenkmal gesetzt hat. Er kannte sie, wie erihren Aufenthalt im Übergang kannte: In "DrogeFaust Parsifal" erzählt er von seinen Erfahrungenmit den greisen Nachbarinnen, die ihn währendseines Berliner Kunststudiums halb liebevoll,halb misstrauisch beobachteten. Er berichtetvon der Pflege für seine Mutter, die er vierzehnJahre nach seiner Flucht aus der DDR in seinemzur Ruine verkommenen Elternhaus wiedertraf.Und er erzählt von seinen Exkursionen aufden Jüdischen Friedhof in Berlin, der zu DDR-Zeitenzu seinen bevorzugten Aufenthaltsorten zählte.

Es ist ein stilles Begräbnis, das Einar Schleefin seiner Heimatstadt findet. Die Trauergemeindeist überschaubar, der Holzsarg schlicht.Ein katholischer Priester spricht von Schleefsverwandtschaftlichem Gefühl für die Prophetendes Alten Testaments, von dem ebenso erdrückendenwie erhebenden Gefühl des Auserwählten. Dannsingen die Trauernden "O Haupt voll Blut undWunden", das Lieblingslied des Toten.

Noch einmal ein Chor, wie er in Schleefs Theaterso große Rolle gespielt hat. Doch diesmalklingt er verzagt und traurig.