Zeit der Freundschaft und des Verrats Zeit der Freundschaft und des Verrats: Für Janka, Harich und die anderen
Halle/MZ. - Nun aber soll der eigentliche Strafvollzug beginnen.
Er habe heulen müssen "wie seit Kindertagen nicht mehr", schreibt Loest. Der Häftling 23/59 lässt sich in die völlige Willenlosigkeit fallen. Eine Woche lang, dann versiegen die Tränen. Einmal nicht widersprechen, nicht widerstehen müssen. Loest nennt den Zusammenbruch seinen "kleinen hämischen Triumph", mit der schiefen Pointe: "Diesen Zustand habt ihr erreicht und müsst ihn verantworten."
Von Hitler zu Stalin
Erich Loest, der 17 Jahre nach seiner Haftentlassung 1964 in den Westen ausreist und seit 1990 wieder in Leipzig lebt, hat bereits in seiner Autobiografie "Durch die Erde ein Riß" (1981) Blicke auf seinen Bautzen-Alltag gestattet. Den Stumpfsinn, die Bosheit, den kindischen Rhythmus. Allein das, was der 81-Jährige mit seinem Bericht "Prozesskosten" vorlegt, ist ein Werk von anderem Kaliber.
Ein Buch der Freundschaft, des Verrats und der lebenslangen Solidarität. Loest erzählt die Geschichte seiner durch die SED politisierten Nachkriegsjugend. Einer Generation von Intellektuellen, die - wie Loest selbst - geradewegs von Hitler zu Stalin wechselten, und deren Schicksal mit dem auf zynische Art verendeten "Tauwetter"-Jahr 1956 verbunden bleibt. Jenem Jahr, in dem vom Kreml her Stalin ausgetrieben werden sollte, nach Innen aber die Stalinisten ihre Posten sicherten - für Jahrzehnte.
1956 und die Folgen, das sind für Loest die Prozesse gegen jene, denen ein Sozialismus auch ohne Diktatur denkbar schien: der Verleger Walter Janka (1914-1994), der Philosoph Wolfgang Harich (1923-1995), der Slawist Ralf Schröder (1927-2001), der Publizist Gustav Just, 85, der Schriftsteller Gerhard Zwerenz, 81, der Publizist Günther Zehm, 73, und andere. Personen, denen Loest verbunden war oder ist. Mit Janka war er befreundet, mit Just ist er befreundet bis heute. Mit seinem PDS-Mandat im Bundestag hat Zwerenz die Beziehung zu Loest gelöst. Ralf Schröder, der seine Freunde verraten haben soll, diente sich 1974 der Stasi an.
Der politische Entwicklungsroman des Erich Loest, dargeboten in der Nuss-Schale der Zeitgeschichte. Ein von persönlichen Erlebnissen und Reflexionen durchzogenes Zeitbuch, das nicht nur bekennen, sondern erklären will. So wird das Jahr 1956 in seiner Gänze gezeigt. Zitiert, was in Chruschtschows Geheimrede gegen Stalin gesagt wurde. Der Fall Janka wird erzählt, die Aufstände in Polen und Ungarn.
Loests Bericht beginnt seinem 30. Geburtstag 1956 und endet mit dem 85. Geburtstag, den Gustav Just 2006 im Märkischen feierte. Pointiert werden Personen der Zeitgeschichte porträtiert: der SED-Kulturpolitiker Alfred Kurella, der den Studenten des Leipziger Literaturinstitutes Stalins Prozesse damit erklärt, dass beim Entfernen eines Krebsgeschwürs auch gesunde Zellen zerstört werden müssten.
Oder der SED-Politiker Albert Norden, der zu Protokoll gibt: Man werde sich nicht von dem Arbeiterführer Stalin trennen, sondern nur von dessen Fehlern. Der Literaturinstituts-Student Ralph Giordano, der gerade belletristisch Stalin verherrlicht hatte und sich fragt: Muss ich Stalin aus meinem Herzen reißen? Oder Günter Kunert, der bang dichtet: "Ich bitte Euch von Herzen, haltet fest / An unsrer Sache, die sich nie verlieren lässt."
Schwermütiger Bär
Loest genießt die Monate der Turbulenz als eine Phase des Lebensmutes. Zwerenz beschreibt ihn: "Loest konnte nächtelang saufen, ohne mehr Wirkung zu zeigen als einen eigentümlich schweren Gang. Wie ein Bär tappte er dann durch die Zimmer, das Lächeln maskenhaft vor dem Gesicht, in den Augen unüberwindbare Schwermut." Schon ereignet sich, was als Phrase die Runde machte: "Jetzt schütten sie die Spucke aus den Fanfaren." Was folgt: die Anklagen, die Prozesse, die vom Streit unter den Opfern verbitterten Jahrzehnte. Was Loests Buch zu einem Ereignis macht, ist die kritische Fairness, mit der er Walter Janka genauso wie dessen Gegner Wolfgang Harich zeichnet, der heute allzu leichtfertig als ein stalinistisches Rumpelstilzchen abgefertigt wird. Loest zeigt, was Janka aus taktischen Erwägungen zu verschweigen suchte: Dass es tatsächlich eine Gruppe Janka, aber keine Gruppe Harich gab; nur taugte Harich als ein weithin bekannter Intellektueller besser als Hassfigur.
Janka, sagt Loest, habe Ulbricht tatsächlich stürzen wollen; ein Plan, der die reale Gefahr eines Staatsstreiches beschwor. Ein Umstand also, den Ulbricht genauso zu verbergen suchen musste wie der Verschwörer selbst. Harich sei hier nur der Sündenbock gewesen. Auch um das zu sagen, war Loest der Einsatz am Schreibtisch wert: "denn allmählich geben die Letzten von damals den Löffel ab".