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Xscape von Michael Jackson Xscape von Michael Jackson: Neues Jackson-Album veröffentlicht

München - Gestern Nacht, im U-Bahnhof. Eine seltsame Bewegung am Rande meines Sichtfeldes. Ich drehe mich um. Eine Frau, Mitte 60, übt den Moonwalk. Nein, sie beherrscht ihn eigentlich recht gut. Seltsam. Heute Morgen, am Hauptbahnhof. Ein Blechbläserensemble, etwa 20 junge Musiker, hat sich zwischen den Geschäftszeilen aufgebaut. Sie spielen Michael Jacksons "Human Nature". Reisende bleiben stehen, applaudieren. So langsam glaube ich an Zeichen. Oder an eine ausgeklügelte ...

Von Christian Bos 09.05.2014, 09:05

Gestern Nacht, im U-Bahnhof. Eine seltsame Bewegung am Rande meines Sichtfeldes. Ich drehe mich um. Eine Frau, Mitte 60, übt den Moonwalk. Nein, sie beherrscht ihn eigentlich recht gut. Seltsam. Heute Morgen, am Hauptbahnhof. Ein Blechbläserensemble, etwa 20 junge Musiker, hat sich zwischen den Geschäftszeilen aufgebaut. Sie spielen Michael Jacksons "Human Nature". Reisende bleiben stehen, applaudieren. So langsam glaube ich an Zeichen. Oder an eine ausgeklügelte Marketing-Kampagne.

Am Freitag, fast fünf Jahre nach seinem Tod, ist ein neues Michael-Jackson-Album erschienen, alte Demo-Aufnahmen, neu arrangiert und klanglich auf Zeithöhe gebracht von erfahrenen Top-Produzenten wie Antonio "L.A." Reid, Rodney Jerkins und vor allem Timbaland, Quincy Jones' legitimen Nachfolger.

"Xscape" heißt das Album und es wird in den nächsten Tagen, Wochen schwer sein, ihm zu entkommen. "Egal, wo ich hingehe, mein Name ist schon da", singt Jackson im Titeltrack und beklagt dann, wie so oft, dass er kein Privatleben kenne. Auch da war er Vorreiter. Die Original-Version des Stücks, sie ist auf der "Deluxe Edition" des Albums erhältlich, beginnt mit dem Hörspiel eines Gefängnisausbruchs. Den schwer erfüllbaren Anforderungen des Lebens mag Jackson mit einer Überdosis Propofol entkommen sein, die Verwertungsmaschinen der Unterhaltungsindustrie haben ihn weiterhin fest im Griff.

Mögen die beiden oben geschilderten Begegnungen nun dem Irrwitz des Zufalls oder meiner gesteigerten Aufmerksamkeit zu verdanken sein - wir leben in einer Michael-Jackson-Welt, uns allen eilt heute unser Name voraus und wen du auch triffst, er hat dich längst gegoogelt. Wer sich ins Neverland zurückzieht, macht sich nur verdächtig. Und Jacksons große Pop-Erzählungen? Sie haben sich in abertausend Spotify-Musiklisten verästelt.

Es lohnt sich doch

Aber Sie wollen natürlich wissen, ob dieses neue Album hörenswert ist, ob es mehr taugt als die erste posthume Veröffentlichung, die eilig kurze Zeit nach dem Tod des Popkönigs auf den Markt kam? Ist es. Und wenn es ein zweifelhaftes Vergnügen ist, so bleibt es doch ein Vergnügen. Man versteht durchaus, warum es diese acht Songs nie auf ein reguläres Album geschafft haben. Die Strophen von "Loving You" winden sich elegant, der Refrain jedoch klingt eintönig, flach und ist gleich wieder aus dem Gedächtnis verschwunden. "A Place With No Name" ist im Original eine unverhohlene Coverversion von Americas Frühstücksradioschlager "A Horse With No Name". Und "Do You Know Where Your Children Are?" will man Michael Jackson nicht unbedingt laut fragen hören.

Aber "Love Never Felt So Good" - der King of Pop hat es zusammen mit Paul Anka, dem King of Schmalz, geschrieben - verführt schon in der Demo-Version, mit Fingerschnippen und Klavier als einziger Begleitung. Neu produziert, um Nile-Rodgers-Rhythmus-Gitarre, Discostreicher und schwelgerische Pianowolken ergänzt, wirkt es wundervoll. Ungefähr so, wie sich Justin Timberlake den Ü-40-Teil seiner Karriere vorstellen dürfte. Ob der rollende Bass und die spitzen Synthie-Flächen bei "Chicago" zu viel der ungefragten Aktualisierung sind? Doch das schwachbrüstige Original - Jackson wird mal wieder von einem Mädchen mit falschen Versprechungen getäuscht - lässt mich wieder zur aufgepimpten Version skippen. Nicht anders bei "Slave To The Rhythm" (nicht der gleichnamige Grace-Jones-Song): die nervös fiependen Timbaland-Schleifen sind genau, was der Originalaufnahme gefehlt hat.

Wie viele Tupac-Shakur-, wie viele Jimi-Hendrix-Alben wurden nach deren frühen Toden rausgehauen? Bei Michael Jackson kann man sich fast schon über die Zurückhaltung wundern. "Xscape" jedenfalls weist dem toten König einen würdigen Platz im vornehmen Abstand zum aktuellen Pop-Geschehen zu. Seine Stimme scheint in höhere Gefilde entfleuchen zu wollen, überirdisch schön, die Jahre, Jahrzehnte späteren Produktionen halten sie so eben gerade mal auf der Erde fest. Blechbläser könnten diese Lieder für ihre Zwecke umarrangieren und 60-Jährige zu ihnen moonwalken. Ich sitze im Zug, höre mir zum zehnten Mal "Love Never Felt So Good" an und träume von strassbesetzten Handschuhen.

"Xscape" von Michael Jackson, erschienen bei Epic Records.