Woody Allen im Interview Woody Allen im Interview: "Ich bin ein Feigling"

New York - An diesem Donnerstag startet die neue Tragikomödie von Oscar-Preisträger Woody Allen (79) in den Kinos. Ein Film in klassischer Allen-Manier, in dem Joaquin Phoenix als depressiver Philosophie-Professor sowohl einer verheirateten Professorin (Parker Posey) als auch einer Studentin (Emma Stone) näher kommt. Mit Woody Allen sprach Patrick Heidmann.
Mr. Allen, „Irrational Man“ ist keine Ihrer leichten Komödien, sondern eine recht bittere Geschichte. Wird Ihr Blick auf die Welt immer düsterer?
Allen: Oh nein, ich war immer schon pessimistisch und bleibe es. Da hat sich nichts geändert.
Wird der Pessimismus noch größer?
Allen: Nein, auch das nicht. Der war von Anfang an so groß, dass da eigentlich keine Steigerung mehr möglich war. Noch pessimistischer als in meiner Jugend kann man eigentlich nicht sein. Ich hatte immer schon ein sehr düsteres Bild vom Leben und von den Menschen. Und das ist bis heute so.
Der Protagonist Ihres Films blüht erst auf, als er einen Mordplan schmiedet. Klingt ganz so, als würden Sie solche Träume auch manchmal hegen...
Allen: Das mag schon sein. Ich würde sie nur nie in die Tat umsetzen. Würde ich alle Menschen umbringen, die ich am liebsten tot sehen würde, wäre ich am Ende wohl der letzte Mensch auf Erden.
Nicht nur er, auch die junge Studentin in „Irrational Man“ sucht in ihrem Leben nach Aufregung und ein wenig Gefahr. Geht es Ihnen ähnlich?
Allen: Ich bitte Sie. Ich bin ein Mittelklasse-Feigling durch und durch. Risiko ist das letzte, wonach ich strebe. Und eigentlich ist Jill, die Emma Stone im Film spielt, eher wie ich. Sie würde sich normalerweise nicht mit einem so viel älteren, irrationalen Pseudo-Romantiker einlassen, sondern wäre besser dran mit ihrem netten College-Freund. Aber sie studiert nun einmal Philosophie.
Und das bedeutet?
Allen: Leute, die sich viel mit Philosophie beschäftigen, erliegen ja oft dem Charme der Existenzialisten. Die sind nun einmal so wunderbar flamboyant, so dramatisch und wahrhaftig. Hegel, Leibniz, Spinoza - die sind natürlich brillant, aber eben auch so schwerfällig. Da kann man schon verstehen, dass gerade auf junge Menschen die Existenzialisten einen besonderen Reiz ausüben, wie sie so in ihren schwarzen Rollkragenpullovern rauchend in Cafés sitzen und Theaterstücke über Selbstmord schreiben. Davon kann man sich schon mal mitreißen lassen.
Aber Sie sind niemand, der sich von irgendetwas mitreißen lässt?
Allen: Nein, nie. Höchstens gedanklich, in meinem Zimmer. Ich bin wirklich niemand, der irgendetwas Ungewöhnliches tun würde. Ich habe in meinem Leben noch nicht einmal an einem Joint gezogen. Wie gesagt: durch und durch ein alles andere als mutiger Feigling aus der unteren Mittelklasse.
Moment mal, Sie haben nie in Ihrem Leben Marihuana ausprobiert?
Allen: Ich bin einfach kein neugieriger Mensch. Die Leute denken das immer. Aber ich bin wirklich kein bisschen neugierig oder experimentierfreudig. Auch nicht aufs Reisen. Würde meine Frau mich lassen, würde sich mein gesamtes Leben im Umkreis von 20 Block um unsere Wohnung herum abspielen.
Nicht einmal in den wilden Sechzigern konnte irgendwer Sie in Versuchung bringen?
Allen: Ich war schon damals so wie ich heute bin. Dabei war ich ja als Komiker, der in Nachtclubs auftrat, wirklich mittendrin im Geschehen. Ich war ständig umgeben von Jazz-Sängern und Folk-Musikern, ein Konzert jagte das nächste. Jeder um mich herum, auch die Leute, die doppelt so alt waren wie ich, konnten es kaum erwarten, alles auszuprobieren. LSD, Kokain, was auch immer sie in die Finger bekamen. Mich interessierte das alles kein bisschen.
Wenigstens ein Glas Wein?
Allen: Das schon, dafür konnte ich mich früher schon erwärmen. Also trank ich jeden Tag Wein. Bis ich eines Tages aufwachte und nicht mehr schlucken konnte. Mein Doktor sagte mir, dass durch Wein meine Speiseröhre verkrampft. Damit hatte sich mein Interesse an Wein natürlich auch wieder erübrigt.
Stichwort Interessen: Wie im Film hat die Psychoanalyse stets eine wichtige Rolle in Ihrem Leben gespielt. Hatten Sie nie Angst, dass zu viel Zeit auf der Couch Ihre Kreativität beeinflussen könnte?
Allen: Genau das tut die Psychoanalyse auch. Aber nicht so, wie viele immer vermuten. Ich weiß, dass es viele Künstler gibt, die immer davor zurückschrecken, weil sie Angst haben, dass sie danach nicht mehr schöpferisch tätig sein können. Doch das Gegenteil ist der Fall. Man kreiert mehr denn je. Die Psychoanalyse befreit dich. Wenn man das eine Weile mit Erfolg hinter sich gebracht hat, hat man einiges an Ballast abgeworfen und kann sich ganz auf die Arbeit konzentrieren. Mir hat sie jedenfalls sehr geholfen. Wenn auch natürlich nicht so sehr, dass ich ein positiver, glücklicher Mann wäre.
Eine letzte Frage zu der Serie, die Sie für den Streaming-Dienst von Amazon entwickeln sollen. Was können Sie uns dazu schon verraten?
Allen: Der Fluch meines Lebens! Die sprachen mich vor zweieinhalb Jahren an, um mich von der Sache zu überzeugen. Dabei habe ich in meinem Leben noch nie eine Fernsehserie gesehen. Und ich habe auch nicht vor es zu tun. Nachrichten, Basketball, Baseball – für mehr schalte ich nicht ein. Deswegen habe ich Amazon immer wieder abgesagt. Aber sie haben das Angebot immer weiter erhöht, und irgendwann war es so lukrativ und beinhaltete so viel kreative Freiheit, dass mein gesamtes Umfeld fand, ich könne es einfach nicht länger ablehnen. (mz)