Wolfgang Mattheuer Wolfgang Mattheuer: Im Licht der sächsischen Himmel

Chemnitz/MZ. - Wer von Chemnitz nachdem Leipziger Tiefland fährt, wird, gutesWetter vorausgesetzt, von den sanften sächsischenBergen aus einen Himmel in ganz eigenem Lichterleben. So ist es am Samstagabend gewesen:Hoch oben quert ein Ballon das ungeheure,schon Nacht ahnende Blau, ein Kraftwerk schicktvom Horizont weißen, zerfasernden Rauch.
Eben war in Chemnitz dem Leipziger MalerWolfgang Mattheuer aus Anlass seines 75. Geburtstagesim Frühjahr eine große Werkschau eröffnetund von einer vielköpfigen Menge geradezustürmisch gefeiert worden. Im Angesicht dessächsischen Himmels scheint dem Betrachterdiese Begeisterung kaum mehr erstaunlich zusein. Die Treue des Publikums misst sich amVerwurzeltsein des knorrigen Malers in seinerLandschaft. Das hat gar nichts mit Nostalgiezu tun, der Mattheuer nun wirklich unverdächtigsein sollte, aber viel mit verletzbarem Stolzauf die eigene Biografie, wie ihn der Malermit seinen Landsleuten teilt. So erklärt sichzu einem nicht geringen Teil die ungebrocheneWirkungsmacht des Mattheuer-Werks: Kraftvollerscheint es nun umso mehr und verbindlichin einer Welt, die sich nach der ersehnten,längst überfälligen Zeitenwende im Jahre 1989auf andere Weise als oftmals bedrückend undzunehmend disparat erwiesen hat.
Die sächsischen Himmel spannen sich als großeMetapher, wie der in Reichenbach (Vogtland)geborene Mattheuer sie ja immer geliebt hat,über alle und alles. In ihrem Licht lassensich die vertrauten Gemälde, Grafiken undPlastiken in gebührender Ruhe noch einmalneu entdecken. Der "etablierte Dissident"(Tim Sommer in der Zeitschrift "art") stehtzu Recht im untadeligen Ruf des redlichenMahners, auch jetzt, bei der Wiederbegegnungmit dem Moralisten Mattheuer, wird man zukeinen anderen Schlüssen kommen können.
Er, der bis zum Austritt 1988 der SED angehörte("Meine Verantwortungswilligkeit und Verantwortungsfähigkeithaben ihre Grenzen erreicht", schrieb derMaler zur Begründung), der viele seiner Bilderin den Westen verkaufte und hier wie dortin hohem Ansehen stand, hat gemeinsam mitseinen Kollegen Bernhard Heisig, Willi Sitteund Werner Tübke jahrelang die Creme des dominierendenRealismus in der DDR-Kunstwelt repräsentiert.Aber seine oft wiederkehrenden Metaphern wieSisyphos, Ikarus, Kain oder der Maskenmannzeigten dem realen Sozialismus eben auch seinSchattengesicht vor. Zugleich stellte erprovozierende Träumer dagegen wie "Das vogtländischeLiebespaar" (1972) oder sein zwei Jahre zuvorentstandenes "Schwebendes Liebespaar". Geradeum dieses Gemälde hat es seinerzeit heftigeDebatten gegeben. (...)
Irritationen um Mattheuers Bilder hates öfter gegeben, aber man ließ ihn (natürlichnicht unbeobachtet) gewähren. Ein Gemäldewie "Die Ausgezeichnete" (1973/74), das anrührendeBildnis einer erschöpften, von keinen heroischenZukunftsträumen beseelten Frau, lief so eindeutiggegen den Strich des erwünschten Jubels, dassman den Künstler allein dafür umarmen müsste:Weil er die Menschlichkeit verteidigt hat.Seine zutiefst skeptische Plastik "Jahrhundertschritt"(1984), deren Sujet er auch malerisch variierthat, rechnet dagegen die deutschen Geschichts-Katastrophenauf: Zerrissen zwischen Nazi-Pose und proletarischgeballter Faust, kopflos beinahe taumelt dieFigur in einem viel zu großen, nicht menschenmöglichenSchritt. Der reicht bis in die Gegenwart.In den Neunzigern war es stiller um Mattheuergeworden. Realismus hat wenig Konjunktur inDeutschland, die Kunst der DDR wird gern inBausch und Bogen als ein überwiegend gruseliger,bestenfalls bizarrer Einschluss im großenKontext angesehen. (...)
Kunstsammlungen Chemnitz, bis 22. September,Di-So 12-19 Uhr; Katalog 17 Euro
Der Text wurde gekürzt. Die vollständige Fassung lesen Sie in der Druckausgabe der Mitteldeutschen Zeitung vom 25. Juli 2002.