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Wolf Biermann wird 80 Wolf Biermann wird 80: Der Junge mit der Gitarre

Von Andreas Montag 14.11.2016, 19:55
Wolf Biermann am 13. November 1976 in der Kölner Sporthalle.
Wolf Biermann am 13. November 1976 in der Kölner Sporthalle. picture-alliance/dpa

Halle (Saale)/Hamburg - Wenn Wolf Biermann aus seinem Hamburger Federbett steigt und ihm einfällt, dass er nun 80 Jahre alt ist, wird ihm dies ganz unglaubhaft vorkommen: Wo ist sie geblieben, die Zeit der großen Träume, des großen Liebens, der großen Frechheiten? Nur der Schrecken ist gegenwärtig, der   hinter alledem stand - das Entsetzen  vor den Nazis, die das Volk zum Jubeln  und in  Gleichschritt brachten. Seinen Vater, den  Kommunisten und Juden, hat dieser Zivilisationsbruch  das Leben gekostet.

Wolf Biermann: Keiner erschütterte das System der DDR-Funktionäre so nachhaltig wie er

Und er, der am 15. November 1936 geborene Sohn, ist ausgerechnet 1953, im Jahr des Aufstands, in das    vermeintliche Arbeiterparadies im Osten gekommen, das    keine Zukunft für ihn hatte. Weil er als gebranntes Kind mit der Diktatur nicht leben konnte. Und sie nicht mit ihm. Keiner von denen, die in der DDR in Ungnade gefallen sind, von Walter Janka, Wolfgang Harich und Erich Loest bis zu Rudolf Bahro, hat das bürokratische System der Herren Ulbricht, Honecker & Co. so nachhaltig erschüttert wie eben Wolf Biermann.

„Ach Sindermann, du blinder Mann / Du richtest nur noch Schaden an / Du liegst nicht schief, du liegst schon quer! / Du machst mich populär“, dichtete und sang der Junge mit der Gitarre kackfrech über den „Gouverneur in Halle“, wie er den  SED-Obersten im Chemie-Bezirk und vormaligen Chefredakteur der MZ-Vorgängerin „Freiheit“ nannte.

Das hatte noch keiner gewagt, die Heiligen der Ost-Nomenklatura frontal anzugreifen - ganz im Stile des von  Biermann verehrten französischen Dichters François Villon, der im Spätmittelalter mit Spottgedichten von sich reden machte, aber auch eine Karriere als Kleinkrimineller vorzuweisen hatte.
Biermann, der wortmächtige, großmäulige, respektlose Barde, hat dafür als Frauenschwarm Legenden begründet, die heute noch bei Freund wie Feind nachwirken. Bisweilen flechten  gereifte Damen in ihre gebildete Rede den Satz ein, sie hätten Biermann auch ein wenig näher gekannt und begleiten diese Bemerkung mit einem vielsagend gemeinten Blick.

Andere, wie die Schriftstellerin Gisela Steineckert, fallen nach Jahrzehnten noch rüde über den Barden her und bezichtigen ihn, ein Macho und Sexist gewesen zu sein, den Frauen nur als potenzielle Beute interessiert hätten und andernfalls gar nicht von ihm wahrgenommen worden wären.

Darüber würde längst nicht mehr geredet werden, erst recht nicht über das angebliche, von beiden bestrittene Verhältnis Biermanns mit seiner kommunistischen Jugendfreundin Margot Feist, der späteren Frau Honecker und First Lady der DDR, wäre der Mann nicht eben politisch so interessant gewesen - und provokativ.

Vor 40 Jahren wurde Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert

Als die DDR-Funktionäre in ihrer Not im Herbst 1976 beschlossen, Biermann auszubürgern, der in Köln ein vom Radio übertragenes Konzert gegeben hatte, und im Westfernsehen ein Mitschnitt davon gesendet wurde, war mit einem Mal der Teufel los im Land der Bockwürste und des billigen Bieres. Namhafte Künstler stiegen auf die Barrikaden, der jüngst verstorbene Schauspieler Manfred Krug und sein Freund, der Schriftsteller Jurek Becker darunter, aber auch Hochschullehrer und Studenten.

Viele von denen hatten zirkulierende Textabschriften gelesen, kaum entzifferbare Durchschläge oft, und knatternde Tonbandkopien gehört. Öffentlich auftreten durfte Biermann schon seit Mitte der sechziger Jahre nicht mehr, er war längst eine Unperson geworden für den Staat, der sich so viel von dem Sohn eines ermordeten Antifaschisten versprochen hatte.
Nun sollte es die Arbeiterklasse richten. Wenn es um Missbrauch geht, erinnern sich  Führer immer gern an ihr Volk. Also mussten ganze Kumpel-Kollektive zur Feder greifen, die ihnen gereicht wurde, und flammende Proteste gegen diesen „Schmutzfinken“ unterschreiben, die man ihnen vorlegte. Kaum einer der Unterzeichner wird dabei gewusst haben, um  wen es eigentlich ging.

Ach, es war noch einmal eine große Zeit für die Propagandisten, die eine richtige Schlacht im Klassenkampf schlagen durften. Kleine Parteisekretäre fühlten sich zu stalinscher Größe wachsen, wenn sie  einen jungen Mann, wie  der Verfasser dieses Beitrages einer war, nach Herzenslust an den Ohren ziehen und bedrohen durften, weil er   einem leibhaftigen Agenten des amerikanischen Imperialismus auf den Leim gegangen sei.  

Der DDR hat das alles, wie man weiß, nichts genützt. 13 Jahre später war Feierabend. Und Biermann? Er hat sein loses Mundwerk nicht halten können, manchmal hat man sich freilich gewundert, mit wem der zwischenzeitliche Eurokommunist später so alles auf einem Sofa saß. Aber als Poet  ist er seinen Themen doch immer treu geblieben: Der Menschlichkeit und dem freien Wort, die man verteidigen muss. In schlechten wie auch in guten Zeiten. Das ist nicht wenig. Seinen Namen wird man noch lange erinnern. Bei Sindermann sieht das schon anders aus. (mz)