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Wolf Biermann blickt auf sein Leben zurück Wolf Biermann in Halle:

Von Andreas Montag 24.04.2018, 16:46
Politbarde Wolf Biermann spricht in Halle  über sein Leben - und was er von seiner Oma Meume gelernt hat, die im Waisenhaus aufgewachsen ist.
Politbarde Wolf Biermann spricht in Halle  über sein Leben - und was er von seiner Oma Meume gelernt hat, die im Waisenhaus aufgewachsen ist. Jens Schlüter

Halle (Saale) - Wie Weihnachten käme ihm das vor, sagt Gottfried Koehn zur Begrüßung in die voll besetzte hallesche Marktkirche hinein. Der SPD-Politiker ist Vorsitzender des Gemeindekirchenrats, er weiß, wovon er spricht.

So bedauerlich man es finden mag, dass die Kirchen sonst eher übersichtlich gefüllt sind, so schön ist es eben doch, dass am Montagabend so viele Menschen gekommen sind, um den Dichtersänger Wolf Biermann zu erleben.

Denn der hat immer noch etwas zu erzählen - nicht allein aus dem versunkenen Land DDR, wo es ihm nicht gut gegangen ist, sondern auch über Haltung. Und über den Nationalsozialismus, dessen mörderischem Rassenwahn Biermanns Vater Dagobert, Jude und Kommunist, im Vernichtungslager Auschwitz zum Opfer gefallen ist.

Wolf Biermann in Halle: Ein Zeitzeugengespräch

Die Landeszentrale für politische Bildung hat den 81-Jährigen nach Halle eingeladen, um seine Autobiografie „Warte nicht auf bessre Zeiten!“ vorzustellen. Ein Zeitzeugengespräch ganz anderer Art als jene Veranstaltungen, mit denen Rechtsextreme neue Mitläufer zu rekrutieren versuchen.

Zu seiner Verstärkung, die der höchst präsente Barde eigentlich nicht nötig hätte, hat Biermann den Schauspieler Jürgen Zartmann und den Journalisten Andreas Öhler mitgebracht. Letzterer vermag es moderierend, den mitunter irrlichternden Helden einzufangen.

Und Zartmann, als junger Mann vor mehr als 50 Jahren am halleschen Landestheater engagiert, schafft es als Lesender, hilfreichen Abstand zwischen Autor und Buch zu halten.

Biermann selbst spricht, die Gitarre hat er zu Hause gelassen. Aber auch ohne Gesang wird es ein spannender Abend von zweieinhalb Stunden - für Biermann-Verhältnisse fast ein Quickie. Elastisch ist er schon die Stufe zum Altarraum hinaufgesprungen, lange hält es ihn später nicht im Sessel. Was er auf dem Herzen hat, immerhin ein ereignisreiches Kämpferleben, will heraus. Vieles, wie der Zorn auf die SED-Bonzen, lässt ihn niemals los.

Aber auch die Liebe zu Oma Meume nicht, die im Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen zu Halle aufgewachsen war und den kleinen Wolf die „dreckige“ Sprache Halles gelehrt hat: „Für mich ist es die schönste Sprache der Welt“, ruft Biermann und hat die Herzen endgültig gewonnen.

Er ist ohne Zweifel auch ein Entertainer, aber einer mit Liebe. „Mein Junge, durch Klugheit wird man dumm“, zitiert er Oma Meume, die damit die mit Intelligenz nicht selten einhergehende Fähigkeit meinte, sich selbst zu verstellen und passend zu biegen.

Biermann hat sich nicht verbogen. Und nicht brechen lassen. Den toten Vater im Herzen, das furchtbare Bombardement auf seine Heimatstadt Hamburg noch immer vor Augen, hat sich der Junge als 16-Jähriger kurz nach Stalins Tod und kurz vor dem Aufstand vom 17. Juni 1953 auf Beschluss der Kommunistischen Partei in den Osten aufgemacht, um die Welt zu retten. Ausgerechnet dort! Da konnte einer wie er, der mit Widerspruchsgeist gesegnet war, nur gegen Betonköpfe und Mauern laufen. 1976 warfen ihn die Politbürokraten schließlich hinaus.

Biermann erzählt sein Leben. Im Buch, in Halle auch. Wenigstens ein Stück davon. Verfolgung junger Christen in den Fünfzigern. Wie staatsfeindlich seine Lyrik von seinen „Genossen“ beizeiten empfunden wurde. Wie man seine geliebte, resolute Mutter Emma an der Mauer schikaniert hat und dass die Hamburgerin in Westberlin in der Wohngemeinschaft des Studentenführers Rudi Dutschke logierte.

Wolf Biermann berichtet in Halle von Gespräche mit Margot Honecker

Auch, worüber er mit Margot Honecker, geborene Feist, gesprochen hat, einer Bekannten der Biermanns, kommt vor Und worüber sie mit ihm sprach: „Du kannst der größte Dichter der DDR werden“, sagte sie. Wohlverhalten vorausgesetzt. Er wurde es nicht. Nun hat er andere Verbindungen: „Ich habe mich mit Eurer Kanzlerin angefreundet. Aus gutem Grund“, sagt Biermann mit einigem Stolz. (mz)