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Kunstgeschichte Willi Sittes Partisanenlegende

Eine Recherche zur Biografie des umstrittenen DDR-Künstlers enthüllt eine Lüge.

Von Andreas Montag 07.10.2021, 20:00
Besucher in der  Willi-Sitte-Ausstellung im Kunstmuseum Moritzburg in Halle. Das Bild zeigt Sitte (2.v.r.) neben Erich Honecker.
Besucher in der Willi-Sitte-Ausstellung im Kunstmuseum Moritzburg in Halle. Das Bild zeigt Sitte (2.v.r.) neben Erich Honecker. Foto: Silvio Kison

Halle/MZ - Mehr als 30 Jahre hat es gebraucht, bis man sich nun ein umfassendes Bild von dem Maler und Kulturpolitiker Willi Sitte zu machen versucht. Einen früheren, politisch umstrittenen Ausstellungsversuch im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg hatte Sitte (1921-2013) schließlich selbst abgesagt. Seit dem 3. Oktober ist im Kunstmuseum Moritzburg in Halle die Ausstellung „Sittes Welt“ zu sehen, am Abend dieses Tages hat sie es in das ARD-Kulturmagazin „titel, thesen, temperamente“ geschafft.

Eine klassische Aufsteigerbiografie

Thomas Bauer-Friedrich, Moritzburg-Direktor

Jetzt haben die Kuratoren dieser überaus gelungenen, weil sachlichen und unideologischen Schau, Moritzburg-Chef Thomas Bauer-Friedrich und sein Kunsthistoriker-Kollege Paul Kaiser, dem balkendicken, faktensatten Katalogbuch noch einen weiteren Band hinzugesellt: „Willi Sitte. Künstler und Funktionär - eine biografische Recherche“, der nun in Berlin präsentiert worden ist.

Warum das alles jetzt, da sich doch viele längst mit dem Kalauer „Lieber vom Leben gezeichnet, als von Sitte gemalt“ zufrieden gegeben haben? Weil Sittes Lebens- und Wirkungsgeschichte, „eine klassische Aufsteigerbiografie“ (Bauer-Friedrich), exemplarisch sei, stellen die Autoren fest. Und weil es jetzt, aus entsprechender historischer Distanz, möglich sei, kunstpolitische Vorgänge in Ost wie West objektiver in den Blick zu nehmen, wie Kaiser sagt.

Er verweist auf die im Deutschen Historischen Museum Berlin gezeigte Ausstellung über die Gründerjahre der Kasseler Kunstschau documenta und die NS-Verstrickungen einiger ihrer Begründer. Und auch die im gleichen Hause thematisierten „Gottbegnadeten“, die aus Hitlers Gunst geradezu nahtlos zu neuer Anerkennung besonders im Westen Nachkriegsdeutschlands kamen, gehören in diesen Kontext.

Besucher vor Willi Sittes "Der Rufer II" aus dem Jahr 1964
Besucher vor Willi Sittes "Der Rufer II" aus dem Jahr 1964
Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/

Willi Sitte indes, der aus Kratzau in der Tschechoslowakei stammende, später und bis zu seinem Tode in Halle beheimatete Maler, erscheint Bauer-Friedrich und Kaiser als handelnde Person „unauflösbar widersprüchlich“. Beide haben sich zur Vorbereitung der halleschen Ausstellung durch archivierte Akten gearbeitet, die teils noch nie in Augenschein genommen worden waren. Die „sogenannte Autobiografie“ (Kaiser) Sittes aus dem Jahr 2003 hingegen, aufgeschrieben von der Kunstwissenschaftlerin Gisela Schirmer, sei „eine apologetische Darstellung seines Lebens“.

Aussagen darin, Sitte von der Autorin quasi in den Mund gelegt, verzerrten die tatsächlichen Geschehnisse, findet Paul Kaiser. Im Grunde geht es ihm und Thomas Bauer-Friedrich um zweierlei: Zum einen eben um die Widersprüche in Sittes Agieren und seinem Werk, um seine Entwicklung von einem „um Autonomie ringenden nonkonformen Künstler“ zu einem mächtigen Funktionär und Staatsmaler. Dabei haben sich beide Züge über Jahre gewissermaßen parallel bewegt, Sitte stand den „Formalisten“ nahe, aber immer auch seiner Partei, der SED. Anfang der 60er Jahre kulminierte das in einer tiefen, persönlichen Krise. Nach auch privat motivierten Suizidversuchen und der von der Partei eingeforderten „Selbstkritik“ ging es dann steil bergauf mit Sittes Karriere. Bis ganz nach oben.

Der zweite Punkt, den Bauer-Friedrich und Kaiser intensiv beleuchten, ist Sittes „Gründungsmythos“, die Legende vom Partisanenkampf. Er selbst hat sie in verschiedener Form und mit voneinander abweichenden Angaben zum zeitlichen Ablauf aufrecht erhalten und fortgeschrieben. Tatsächlich, so ergaben die Recherchen, hat Sitte zwar seine Waffen an die Partisanen in Norditalien übergeben, aber erst drei Wochen vor der Kapitulation der Wehrmacht, deren Soldat er war.

Er hat also nicht auf Seiten der Partisanen gekämpft. Warum diese Lüge? Weil man in der sowjetisch besetzten Zone, wohin Sitte mit seinen Eltern aussiedelte, für die Anerkennung als Widerstandskämpfer wenigstens sechs Monate vor Kriegsende übergelaufen sein musste, so die Autoren. Nur wer dies nachweisen konnte, habe die entsprechenden, auch monetären Privilegien in Anspruch nehmen dürfen.

Auffällig an dem Band, der am 18. Oktober erscheinen soll, ist nicht nur die Akribie der Recherche, sondern auch das Bemühen um Fairness: So bleibt zu Sittes Gunsten immerhin stehen, dass er, durch gemeinsames Zureden mit anderen, seine Vorgesetzten davon abgebracht hat, aus Rache für einen getöteten Soldaten zehn Zivilisten erschießen zu lassen.

Dafür gebührt ihm allerdings Ehre - wie auch für das, was er anderen Künstlern ermöglicht hat. Freilich nicht allen. Genehm mussten sie schon sein. Manche wollten nie wieder ein Stück Brot von ihm nehmen. Und schon gar nicht von ihm gemalt werden.

Das Buch wird ab 18. Oktober im Kunstmuseum Moritzburg Halle erhältlich sein und 27 Euro kosten.