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Wiglaf Droste Wiglaf Droste: Die besten Texte des bissigen Schriftstellers in einem Band

Von Christian Eger 12.09.2019, 10:00
Wiglaf Droste und Shaun, das schwarze Schaf.
Wiglaf Droste und Shaun, das schwarze Schaf. Imago stock & people

Halle (Saale) - Literaturnobelpreisträger Günter Grass? Ein „Ödling“, eine „Petze“, ein „rasender Oppportunist“. Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek? Eine „Landplage“. Dessen Kollege Marcel Reich-Ranicki? „Der Helmut Kohl der deutschen Literatur.“

Denn, schreibt Wiglaf Droste über Reich-Ranicki: Was als „Komik missverstanden wurde, war reines Machtbewusstsein. Den literarischen Betrieb führte er im Stil eines Zuhälters: Wer mitmachte, wurde mit Extras und Vergünstigungen belohnt, der Rest musste draußen bleiben.“

Der Schriftsteller und Sänger Wiglaf Droste, der vor einem Vierteljahr im Alter von 57 Jahren gestorben ist, war immer „draußen“. Der einzige Platz für einen Autor, der etwas auf sich hält, wie er meinte.

Nicht mitmachen, das hieß für ihn, sich nicht gemein zu machen mit der Herrschaft, sondern diese zu kritisieren, herauszufordern, zum Klartext zu zwingen, denn von sich aus tut die es nicht.

Wiglaf Droste: Faschisten Barolo bieten

Tatsächlich gehörte Droste nie zum Betrieb. In der Tageszeitung „taz“ schrieb er, bis es ihr links-grünes Milieu zur Macht drängte, und zuletzt in der liegen gebliebenen FDJ-Zeitung „Junge Welt“.

Dort meldete sich Droste mit literarisch-satirischen Einlassungen zu Wort, die zum sprachlich und artistisch Besten gehörten, was heute in Sachen Zeitdiagnostik und Lebenskunst zu haben ist.

Wie virtuos der Autor, der von 2006 an für einige Jahre in Leipzig lebte, seine Gegenwart in den Blick nahm, zeigt die von Klaus Bittermann herausgegebene, mit einem Vorwort von Friedrich Küppersbusch versorgte Werkauswahl unter dem Titel „Die schweren Jahre ab dreiunddreißig“ (Buch bei Amazon kaufen).

Ein genialer Droste-Titel mehr neben so schönen Zeilen wie „Wir sägen uns die Beine ab und sehen aus wie Gregor Gysi“ oder „Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv“.

Unter den mehr als 100 zusammengetragenen Texten finden sich Zeilen wie „Keine Macht den Drögen!“ und „Den Faschisten Barolo bieten!“. Unverstellte Blicke auf Land und Leute, auf gesellschaftliches Leben und privates Leben lassen der Jahre von 1989 bis 2015.

Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht? Für Droste galt die Devise nicht: Er nahm das Persönliche sachlich. Drostes Angriffe waren nie notorisch, nie Selbstzweck, immer ging es um etwas über eine Person hinaus.

Im Fall des Waffen-SS-Geständnisses von Grass „nicht um Moral oder Doppelmoral, sondern um die Mechanismen des Gewerbegebietes der moralisierenden Literatur“. Um ein repressives Wortführen, das seine eigenen Voraussetzungen verdunkelt.

Das chronologisch sortierte Buch ist gut komponiert. „Familienbande“ heißt das erste Stück, in dem der junge Droste den Tagesterror seiner ländlichen Herkunftsfamilie vorführt. Keiner überlebt, der nicht das Wort ergreift. Der sich nicht wehrt. Nicht zurückbeleidigt.

Hier also ging es los. In Ostwestfalen, von dem der Droste-Freund Harry Rowohlt sagte, dass es ein Unsinnswort sei. Ost und West substrahierten sich gegenseitig und übrig bliebe: Falen. Das aber sei kein anständiger Name für einen Landstrich.

Dass Gesellschaftsbande nicht so zudringlich sein dürfen wie Familienbande, dafür stritt Droste. Gegen sozialen Unfrieden, für eine Kultur der Notwehr, zu der für ihn auch eine Kultur des Schimpfens gehörte, die nicht das „wohlfeile unterdrückte Geseimel“, sondern die „Hohe Kunst der tödlichen Beleidigung“ einschloss. Die beherrschte Droste auch.

Wiglaf Droste im Bioladen ertappt

Gern wird Droste als Tucholsky der Gegenwart etikettiert. Das ist insofern nicht völlig falsch, als auch Droste ein Mann der Sprachkritik war, der sich fern der geistigen Lager mit links und rechts gleichermaßen anlegte.

Sätze, die Tucholsky hätte notieren können: „Humor ist eine Waffe, Humor ist eine Haltung zur Welt. Man gibt sie nicht auf, wenn sie anfängt, etwas zu kosten - das ist das Wesen einer Haltung.“

Aber anders als Tucholsky stieg Droste nie allzu tief ins Politische ein, noch im Streit wahrte er Distanz. Er kämpfte nicht gegen Parteien, sondern gegen Charakterzüge, die den Boden für eine autoritäre Herrschaft bereiten.

Gegen Eigenschaften wie Bigotterie, Heuchelei, Aufschneiderei und Angeberei, gegen natürliche Korruptheit und den kollektiven Hang zur Hässlichkeit.

Drostes Kämpfe, das zeigen die Texte, vollzogen sich weniger in der politischen Arena als im zivilen Nahbereich. Etwa im Bioladen. Der Einkauf sei wie Konfirmationsunterricht: „Man fühlt sich ständig ertappt. Ein Sünder ist man, und das kriegt man auch immer schön reingereicht.“

Dabei hat Drostes Herrschaftskritik nichts Naives. Für ihn stand am Ende fest, „dass die Idee von Herrschaft Irrweg und Irrsinn ist, männliches Kompensationsgebaren für wahre Macht“. Die speist sich aus Lebenskunst und -lust. Jeder solle für sich einen Grad der Schwerelosigkeit erreichen, um innerlich so selbstvergessen wie ein Pfeil zu fliegen, empfiehlt Droste. Das Buch lässt hoffen, dass ihm das selbst gelungen sein könnte.

Wiglaf Droste: Die schweren Jahre ab dreiunddreißig. Edition Tiamat, Berlin 250 Seiten, 18 Euro