Weimar Weimar: Gefangen im Scheinwerferlicht

Weimar/dpa. - Plötzlich schreiteine der Frauen: «Das rechte Auge ist schwerer als das linke».Improvisation ist Trumpf bei der Tanzakademie des WeimarerKunstfestes. Zwölf Tänzer proben mit vier Choreographen und fünfMedienkünstlern aus Deutschland, Österreich und Italien für ihreAuftritte vom 8. bis 10. September. Das Ergebnis der Kooperation istein Stück aus Licht, Ton, Video und Bewegung.
Mit der Truppe, die überwiegend aus Studenten besteht, ist in derdunklen «Viehauktionshalle» im Norden der Stadt wieder Lebeneingezogen. Über das Jahr steht sie leer. «Die größte Herausforderungwar es, diese 2000 Quadratmeter überzeugend zu bespielen», sagt derPerformance-Leiter Ingo Reulecke, der selbst mittanzt. «Seit sechsMonaten erarbeiten wir Ideen und Konzepte - aber selbst in Berlin gabes keinen vergleichbar großen Raum.» Deshalb musste er mit seinemTeam viele seiner Vorstellungen in den vergangenen zwei Probewochenstark verändern.
Bei den Aufführungen sollen sich die 200 Zuschauer frei durch dieHalle bewegen und den Tänzern folgen können, die sich in den immerwieder an neuen Orten aufflammenden Lichtkegeln bewegen. Dabei kannes auch passieren, dass sich plötzlich ein Zuschauer imScheinwerferlicht wiederfindet. «Wir wünschen uns die Interaktion mitden Besuchern. Diese unberechenbare Komponente Zufall macht den Tanzerst interessant», erklärt Reulecke.
Über den Köpfen thront eine Videoleinwand, auf der die gleichenTänzer ihre Spuren ziehen. «Unser Ziel war es, die Schnelllebigkeitund die Bilderflut unserer Zeit zu verarbeiten», sagt MarkusWintersberger, künstlerischer Leiter der Medienkunst. Vor der Blue-Box hat er zusammen mit seinen vier Wiener Kollegen Tanzsequenzenaufgenommen, sie verzerrt, entfremdet und ins Weimarer Stadtbildmontiert.
Für ihn besteht die Chance dieser Akademie, die künstlerischenAussagen durch die Zusammenarbeit der Disziplinen zu verstärken.Außerdem bezeichnet er das Projekt als idealen Lernort für die jungenKünstler. «Die praktische Arbeit hier, das Ausprobieren, die vielenIdeen, das ersetzt gefühlt fünf Jahre Studium», stimmt Reulecke zu.
Mit der Einberufung der Tanzakademie im vergangenen Jahr wollteFestivalleiterin Nike Wagner wieder internationale Tanzgruppen nachWeimar bringen. Die Finanzierung ist nach ihren Angaben noch bis 2009durch die Kulturstiftung des Bundes gesichert, die das Projekt mit1,5 Millionen Euro fördert.
Dafür bieten die Tänzer den Besuchern modernen Tanz zu selbsterzeugten Rhythmen oder einfachen, elektronischen Klängen. Diegleiche Tänzerin, die ihr rechtes Auge schwerer fand als das linke,singt und lacht jetzt in einen Ventilator. Sie schwingt ihn um sichherum und tänzelt dabei. «Verrückt», flüstert die Regieassistentin.«Die Szene ist wirklich jeden Tag komplett anders.»