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Weimar Weimar: Die neuen Kleider des Doktor Faust

Von Andreas Hillger 29.02.2008, 18:45

Weimar/MZ. - Eine Neuinszenierung dieser Tragödie beginnt hier lange vor der Premiere: In lokalen Medien wird Goethe sinnfrei als "Weimars Blatt an der Weltenesche" apostrophiert und als der größte Dichter in der kleinsten Stadt gefeiert - als hätte es Shakespeare in Stratford nie gegeben. Parallel serviert man die eher ruhmlose Chronik der letzten "Faust"-Versuche - und weckt Appetit auf den Jungstar Tilmann Köhler, der mit "Faust I" nun den Abschied aus seiner Heimatstadt feiert. Seitdem der 28-jährige Regisseur zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, mag er als Hoffnungsträger gelten. Dass man ihm aber gleich Herkules-Lasten aufbürdet, überfordert ihn aber.

Dabei fängt er das große Ganze ernst und klug an: Die "Zueignung" deklamiert - als Verneigung vor dem Genius loci - Rosemarie Deibel, die 1961 das Gretchen war. Das Vorspiel auf dem Theater spricht der Direktor als Dreieinigkeit - also auch als lustige Person und Dichter. Und der Prolog im Himmel behauptet Sprache als amorphe Masse aus Vokalen und Konsonanten, die zwischen den Erzengeln hin und her wandert, während der Herr nur durch die Stille spricht.

Dann aber geht es auf der Himmelstreppe, die aus dem Orchestergraben in den Schnürboden führt, vor allem bergab - auch wenn Mephisto (Matthias Reichwald) immer wieder pferdefüßig aufwärts stapft. Faust (Thomas Braungardt) ist zunächst eine greinende, halbnackte Kreatur, der mit dem Glauben an die Erkenntnis auch die Scham abhanden gekommen ist. Nach der Zurückweisung durch den Erdgeist degeneriert er zum bellenden Affen, später hockt er wie ein hospitalisierter Knabe auf dem Schoß seines Verführers. Dieser Sinnsucher ist auf seiner Flucht vor allen Erwartungshaltungen auf Nullniveau angekommen. Das könnte tatsächlich zum Ausgangspunkt taugen.

Aber statt des Stückes inszeniert Köhler fortan dessen Kommentar und vermeidet Tragik durch Distanzierung. Mit der Hexenküche werden nicht nur die Rollen zwischen Faust und Mephisto getauscht, sondern auch zwei junge Frauen etabliert. Margarete (Ina Piontek) und Gretchen (Antje Trautmann) sind freilich kaum als unterschiedliche Facetten derselben Figur kenntlich, sie wirken vielmehr wie zwei Zerrspiegelbilder eines fehlenden Vorbildes. Dass auch nach der Pause - etwa im doppelten Selbstgespräch "Am Brunnen" oder in Gretchens Marien-Gebet - schöne Bilder gelingen, kann über das generelle Scheitern des Ansatzes nicht hinwegtäuschen: So, wie Braungardt jedes Wort dreht und wendet, bis ihm vor lauter Möglichkeiten die tatsächliche Haltung abhanden kommt, zersplittert auch das Stück in zahllose Varianten. Das zerrissene Reclam-Heft wird damit zum Menetekel.

Und am Ende weiß man schließlich, dass Fausts Selbstentblößung vom Anfang symptomatisch war: Hier hat nicht nur der Darsteller, sondern auch das Nationaltheater die Hosen heruntergelassen.

Nächste Vorstellung:

Morgen, 19 Uhr