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Vor 40 Jahren starb Maxie Wander  Vor 40 Jahren starb Maxie Wander: Wissen was Leben ist

Von Christian Eger 20.11.2017, 14:35
Maxie Wander: „Wir wissen nicht, was wir haben.“
Maxie Wander: „Wir wissen nicht, was wir haben.“ Christian Borchert/dpa

Halle (Saale) - Die Übergabe erfolgte auf einem Parkplatz. Man hatte keine andere Wahl. Mit ihrem Tagesvisum für Westdeutsche durfte die Luchterhand-Lektorin Ingrid Krüger 1977 nicht den Wohnort des Schriftstellerpaares Maxie und Fred Wander bei Potsdam aufsuchen. Fred Wander übergab der bedeutendsten westdeutschen Netzwerkerin in Sachen DDR-Literatur ein Manuskript seiner Frau. Auf dem Bauch schmuggelte die Lektorin die Blätter nach Westberlin.

Begeistert von der Lektüre, rief Ingrid Krüger beim Ostberliner Verlag Der Morgen an. Man „verständigte“ sich schnell über eine westdeutsche Lizenzausgabe. Im August 1977 erschien das Buch im Osten, leicht zeitversetzt im Westen, unter seinem legendären, viel zitierten Originaltitel: „Guten Morgen, du Schöne“.

Bis zu 50 Briefe erhielt Maxie Wander täglich

Eine Sensation. Das Buch, das vom Tonband gestaltete Monologe von 19 Frauen bietet, ist in der DDR ein Kassenschlager. 30 ostdeutsche Theater bringen die Texte auf die Bühne, darunter das Neue Theater in Halle. Bis zu 50 Briefe täglich erreichen Maxie Wander zu dem Werk, das ihr einziges zu Lebzeiten veröffentlichtes bleiben soll. In der Nacht zum 21. November 1977 stirbt die Autorin im Alter von 44 Jahren.

Obwohl Maxie Wander die wahrscheinlich publikumswirksamste Autorin der DDR gewesen ist, war sie kein Teil des Literaturbetriebs. Sie blieb die fremde Frau. 1933 in Wien als Kind kommunistischer Eltern geboren, heiratete sie 1956 den Auschwitz-Überlebenden Fritz Rosenblatt, der sich Fred Wander nennt. 1958 siedeln die österreichischen Staatsbürger in die DDR über: Wohnsitz Kleinmachnow. Die Staatsgrenze quert den Garten.

Ein  „überwältigender Rappel nach Freiheit“

Maxie Wander ist Mutter, Ehefrau, Journalistin und vor allem die „Frau an der Seite des Mannes“. Sie, die mit einem „überwältigenden Rappel nach Freiheit“ erfüllt ist, zieht den Sohn Daniel, den Adoptivsohn Roberto und die Tochter Kitty auf, die 1968 im Alter von zehn Jahren tödlich verunglückt: Sie stürzt in eine Kanalbaugrube, die aufgrund ihrer Grenznähe nicht abgesperrt wurde. Kittys Tod bleibt ein Trauma. So stark wie der Wunsch ihrer Mutter, eine freie Autorinnen-Existenz führen zu können.

Noch heute ist „Guten Morgen, du Schöne“ eine Starkstrom-Lektüre. Aufrührend, aufrührerisch. Es war eine neue und auf eine neue Art schonungslose Ansprache, die hier von den Frauen mitten aus der Gesellschaft heraus - und eben nicht dem: Staat - in die Gesellschaft hinein geführt wurde.

Stimmen gegen: Augen links, Augen rechts

Ein sich entladendes Stimmen-Gewitter, das Sätze bietet wie: „Wie soll eine Gesellschaft weiterkommen, die nicht mehr in Frage stellt, nicht mehr verändern will, Risiken scheut?“ Das beobachtet: „Das Strammstehen in der Schule, diese äußerliche, sinnlose Disziplin, Fahnenappell, Augen links, Augen rechts.“ Oder feststellt: „Die Nacht ist mir am liebsten, es ist keine Ordnung da, in die man sich pressen muss.“ Unerhört, wie von einer unkonventionellen Frau berichtet wird, die in der Psychiatrie zerstört wird: „mit kaputten Frauen zusammengesperrt und mit Tabletten vollgeschwemmt.“

„Guten Morgen, du Schöne“: Wer spricht hier?

Dass dieses Buch erscheinen konnte, verdankt sich wohl allein dem Umstand, dass es zwar die patriarchal-gesellschaftlichen, aber nicht die herrschaftlich-staatlichen Strukturen in Frage stellt; das Buch ist DDR-treu. Was nichts an dem Umstand ändert, dass es wie kaum ein zweites an die Grenzen des öffentlich Mitteilbaren ging. Ein protokollarisches Gegenstück zu Christoph Heins „Der fremde Freund“.

Selbstverständlich haben wir es mit gestalteter Literatur zu tun. Die „Protokolle“ wurden, worauf Christa Wolf hinwies, von Wander arrangiert, gekürzt, umgeschrieben, akzentuiert, bis es ihr passte. Es wäre einmal zu klären, wo hier und warum die Grenzen zwischen Dokument und Fiktion verlaufen. Wer tatsächlich die Frauen waren, die dort sprachen? Leben noch einige? Fragen, die eventuell aus dem Nachlass von Maxie Wander zu klären wären, der seit 2015 an der Akademie der Künste in Berlin liegt.

Maxie Wanders Nachlass liegt in der Akademie der Künste

Zwei Jahre nach Maxie Wanders Tod erschienen ihre „Tagebücher und Briefe“, wiederum ein Bestseller. „Wir wissen nicht, was wir haben“, ist dort zu lesen, „erst wenn die Wände zittern und der Boden unter unseren Füßen wankt, wenn diese Welt einzustürzen droht, ahnen wir, was Leben bedeutet“. Wissen, was Leben ist. Die Prosa der Maxie Wander liefert dazu auch nach 40 Jahren wichtige Hinweise. (mz)