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Volksfront Volksfront: Wer hat Angst vor Georgi Dimitroff?

Von Christian Eger 17.08.2004, 17:39

Halle/MZ. - Zur Erzeugung kollektiver Alarmzustände taugt der nationalsozialistische Ereignis-Fundus noch so zuverlässig wie der kommunistische; das Nichtbegriffene ist das, was zielgenau erschrecken lässt. Nun dämmert die fast vergessene "Volksfront" wieder, zurückgerufen als Schreckgespenst von links. Gerhard Schröder entdeckt Züge der historischen Allianz "neu" im Hartz IV-Protest, einem "abartigen Bündnis", das er über Parteigrenzen hinweg bis in die sozialdemokratischen Reihen wahrnimmt. Die tagespolitische Instrumentalisierung von Geschichte muss nicht verblüffen, aber es steht dann doch die Frage: Wird das Propaganda-Zitat der aktuellen Lage gerecht - und dem historischen Ereignis, das es aufruft? Und wenn Schröder - um in der von ihm gewählten Analogie zu bleiben - in den Demonstranten die "Volksfront" entdeckt, wer wäre dann eigentlich er?

Die historische "Volksfront" war der Versuch, von 1935 an eine antifaschistische Wahl- oder Regierungskoalition zustande zu bringen, die auf Initiative der Kommunisten das linke Spektrum eines Landes zu vereinigen suchte. Der Bulgare Georgi Dimitroff (1882-1949) war es, der als Komintern-Chef Stalins Weisung in die Welt trug. Keine Kleinigkeit für die Partei, die ihren "Todfeind" bis dahin nicht in den Nazis, sondern in den Sozialdemokraten erkannt hatte.

Erfolg hatte die Taktik in Frankreich, wo die Volksfront (Front populaire) von 1936-37 den Ministerpräsidenten Léon Blum stellte und in Spanien, wo Manuel Azaña von 1936 an die Macht gelangte, bevor er 1939 ins Exil ging. Die Kommunisten setzten auf eine "Strategie der konzentrischen Kreise" (Eric Hobsbawm): Die vereinten Kräfte der Arbeiterklasse ("Einheitsfront") sollten die Grundlage für eine Allianz mit Demokraten und Liberalen ("Volksfront") bilden, die sogar ein ideologie-unabhängiges Bündnis aller Anti-Nazis erlaubte ("Nationale Front"). Zusammenhängen, wenn man nicht zusammen hängen wollte. Die Volksfront-Verhandlungen in Deutschland scheiterten 1937 an den von Ulbricht geführten Kommunisten.

Wenn Schröder also dieser Tage eine neue "Volksfront" auszumachen meint, erkennt er in den Anti-Hartz-Demonstrationen eine konzertierte Aktion, die links von der SPD aus vorsätzlich ins Leben gerufen wurde (womit er unrecht hat) und die auf die Ablösung seiner Regierung zielt (womit er recht hat) - nur fürchten muss er weder das Eingebildete noch das Erkannte.

Wo die PDS die Macht teilt, setzt sie Hartz IV brav mit um; die Konservativen sind ohnehin dafür. Deshalb stehen jene, die auf die Straße gehen, tatsächlich für sich allein. Der "Volksfront"-Vorwurf zeigt hier nur, wie blank die Nerven des Kanzlers liegen. Der Wahl des Front-Begriffes ist dabei so hysterisch wie die Debatte darüber überflüssig ist, ob der Begriff "Montagsdemonstration" erbepflegetechnisch oder philologisch korrekt sei.

Niemand sollte vergessen, wie diffus im Einzelnen die Motive für die 1989er Massengänge waren; der größte gemeinsame Nenner war das Verschwinden einer DDR, wie sie sich gegen Ende 1989 präsentierte. Schröders Abgang würde gar nichts ändern. Sein Schicksal ist das der Demonstranten: auf Politik als Handwerk zu setzen, nicht als Verstärker kollektiver Ängste.