1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Volker Schlöndorff: Volker Schlöndorff: «Internate sind auch Schulen für das Leben»

Volker Schlöndorff Volker Schlöndorff: «Internate sind auch Schulen für das Leben»

27.04.2010, 15:46
Volker Schlöndorff (FOTO: DPA)
Volker Schlöndorff (FOTO: DPA) dpa

Berlin/dpa. - Und erhabe «dadurch erst verstanden, was dann später beim Militär oderüberhaupt in Männerbündnissen und -gesellschaften passiert».

Schlöndorff weiß wovon er spricht. Der heute 71-Jährige besuchteals Jugendlicher ein Jesuiten-Internat in der Bretagne und drehtewenig später 1966 noch als Twen seine Robert-Musil-Verfilmung «Derjunge Törless» (mit dem jungen - und bildhübschen - Mathieu Carrière)über sadistische Quälereien in einem Internat. Bei Musils Roman «DieVerwirrungen des Zöglings Törleß» von 1906 gehe es auch um die«Sinnlichkeit» hinter Internatsmauern. Eine «Negierung der sexuellenNatur» junger Menschen könne sich vehement entladen, betont derRegisseur.

Von dämonischen «Jugendertüchtigungen» in einer strengenfranzösischen Klosterschule und danach in einem Nazi-Elite-Internaterzählte später sein Film «Der Unhold» (1996) nach dem gespenstischenRoman «Der Erlkönig» des Franzosen Michel Tournier mit dem «schwarzenRitter», in dem sich ein erwachsener, aber entwicklungsgestörter Mannzu Kindern als «Seelenverwandte» hingezogen fühlt («...jetzt fasst ermich an!» zitiert der Film an einer Stelle Goethes berühmte«Erlkönig»-Ballade).

In der jetzigen Missbrauchsdebatte wird nach Ansicht Schlöndorffs«sehr viel in einen Topf geworfen», wie er in einem Gespräch mit derNachrichtenagentur dpa betont. Übergriffe und wirkliche VerfehlungenErwachsener seien natürlich zu verurteilen und zu verfolgen. «Das istaber keine besondere Angelegenheit der katholischen Kirche oder vonInternatsschulen, das geschieht auch in Hinterhöfen in Berlin-Hellersdorf oder sonstwo und vor allem leider auch immer noch zumeistin den Familien. Natürlich muss man die Kirche auch an ihrem eigenenAnspruch messen, aber man muss die Kirche auch im Dorf lassen.» Diejetzt bekannt gewordenen Missbrauchsfälle offenbarten aber auchwieder einmal die Unkultur des Wegsehens in dieser Gesellschaft, «diesonst so viel auf sich hält».

Er sei zwar nie selbst Betroffener von Übergriffen gewesen undhabe in seiner Internatszeit auch nie etwas darüber gehört, abernatürlich sei auch er unter Jugendlichen nicht naiv aufgewachsen undkannte auch die «Knabenspiele», aber er habe das für das normale«coming of age», das Erwachsenwerden, gehalten. «Mir ist das nie alsetwas Böses vorgekommen.» Und im Internat habe er überhaupt erstgemerkt, «was ein wirklicher Pädagoge ist, der sich für uns einsetztund ein leidenschaftliches Interesse an seinem Beruf hat im bestenSinne». Diese Leidenschaft war nicht sinnlich, «die waren hintermeinem Geist her und nicht hinter meinem Körper».

An dem jetzt so heftig umstrittenen Wort vom «pädagogischen Eros»sei auch etwas Positives, meint Schlöndorff. «Ohne die Begeisterung,ja auch Leidenschaft im geistigen Sinne, die ich von meinen Priesternerfahren habe, wäre ich in dieser Schulzeit nicht so entscheidendpositiv beeinflusst worden.» Dazu gehörte auch der Rat einesJesuitenpaters: «Man muss das tun, woran man glaubt, und zwar ohneGegenleistung. Dann ist man glücklich.» Und beim Beruf an Berufung,nicht an Geld denken. Diese Art der Leidenschaft zur Erziehung einesjungen, «unfertigen» Menschen habe auch der französische RegisseurFrançois Truffaut (1932-1984) in seinem Film «Der Wolfsjunge» 1970gezeigt. Auch da sehe man, dass eine Erziehung «immer auch eine ArtPaarbeziehung ist», in der man natürlich mit der Reife desErwachsenen rechnen muss, dies nicht zu missbrauchen.

In seinem eigenen Film «Der junge Törless» schildere er «ein bösesBeispiel von Unterdrückung unter Jugendlichen ohne Intervention vonErwachsenen mit ihren eigenen Machtspielen untereinander», sagtSchlöndorff. Das sei besonders erschreckend gewesen, weil er bei derBesetzung der Rollen auch auf Schulhöfen gewesen sei, wo ihm Schülerfür die «Opferrolle» in dem Internatsfilm «ihr eigenes "Opfer"angeschleppt und gesagt haben, sie hätten genau so einen Jungen inder Schule, der gemobbt werde, wie man heute sagt». Und der Junge seisogar besonders erpicht darauf gewesen, in dem Film mitzuspielen.Marian Seidowsky habe danach sogar in Fassbinder-Filmen wie «Götterder Pest» und «Händler der vier Jahreszeiten» als «Bösewicht»Karriere gemacht.

Jedes Internat sei auch «ein Mikrokosmos mit eigenen Anführern undOpfern und auch Machtkämpfen - wie im späteren Leben, das wird fürviele eine prägende Erfahrung». Die Jugendlichen würden sich oftuntereinander besser erziehen als viele Erwachsene, die dabeiversagten. So lernten die Kinder dort einen offenen Umgangmiteinander und sprächen auch über ihre sexuellen Probleme undlernten, ihre Sexualität zu akzeptieren, weil sie merkten, dass siedamit nicht alleine seien. Der Sinn der Internate sei ja auch nicht«Kinder wegzuschließen». Er habe noch nie geglaubt, «dass dieBehütung auf Dauer ein großer Vorteil ist - irgendwann muss man dochraus aus dem Reservat in die freie Natur, laufen lernen, auch wennman zwischendurch ins Stolpern kommt».