Viel Beifall für Zadeks «Nackt»-Inszenierung
Hamburg/dpa. - Viel Beifall für Peter Zadek: Am Hamburger St.-Pauli-Theater hat der 81-jährige Regisseur mit «Nackt» von Luigi Pirandello (1867-1936) eine Parabel auf die Verlogenheit der Menschen inszeniert.
Nach und nach kommen die Lebenslügen der Protagonisten ans Licht, die vergeblich versuchen, ihre «Nacktheit» mit Illusionen zu bedecken. Die einzige, die versucht, sich selbst und ihren Werten treu zu bleiben, wird in diesem Labyrinth von Falschheit aufgerieben. Nach «Bitterer Honig» mit Julia Jentsch und Eva Mattes ist es Zadeks zweite Regiearbeit an dem kleinen, nostalgischen Theater auf der Reeperbahn.
Erzählt wird die Geschichte eines älteren Dichters, der das Kindermädchen Ersilia nach einem Selbstmordversuch zu sich genommen hat. Er will sich von ihr und ihrer Geschichte, die er in der Zeitung gelesen hat, inspirieren lassen und wieder Leben in sich spüren. Ersilia wurde von ihrem Dienstherren, dem Konsul Grotti, erst verführt und dann aus dem Haus gejagt. Obendrein macht die Gattin des einstigen Arbeitgebers sie auch noch für den Tod der Tochter des Hauses verantwortlich. Und Ersilias Ex-Verlobter steht kurz vor der Hochzeit mit einer anderen.
Alle männlichen Protagonisten nutzen das Mädchen schamlos aus. Friedrich-Karl Praetorius glänzt in der Rolle des Schriftstellers, der so tut, als wolle er dem Mädchen helfen, dabei will er sie nur für seine Zwecke missbrauchen, ebenso wie der Journalist (Martin Pawlowsky). Auch der Konsul (Friedhelm Ptok) sieht nur seine eigene verzweifelte Lage und nimmt keine Rücksicht auf die Wünsche des Mädchens. Im Gegenteil versucht er ihr einzureden, selbst an ihrem Unglück schuld zu sein. Und auch der untreue Geliebte (Nikolai Kinski) will nur sein eigenes schlechtes Gewissen erleichtern, eine wirkliche Liebe zu Ersilia kann er nicht empfinden.
Annett Renneberg als Ersilia, bekannt aus den Donna-Leon-Verfilmungen, schafft es mit viel Zartheit und Gefühl, gegen diese männliche Ignoranz anzukämpfen. Die beiden anderen Frauen, die opportunistische Zimmervermieterin (Brigitte Janner) und das leichte Zimmermädchen (Carla Riveros Eissmann), sind ihr dabei keine Hilfe. Am Ende steht sie da wie eine Madonna: Mit weißem, durchsichtigen Schleier über dem Kopf, nur in ihrem Unterkleid, quasi nackt. «Diese Tote hier, hat sich nicht kleiden können», lauten ihre letzten Worte. Im Gegensatz zu allen anderen ist sie ehrlich geblieben, während sich die anderen mit Unmoral kleideten.
Peter Zadek hat die Geschichte mit sehr viel Einfühlungsvermögen und nicht ohne eine gewisse Ironie erzählt. Trotzdem ist dem Stück anzumerken, dass es 86 Jahre alt ist und etwas Patina angesetzt hat. Heute regt sich kaum noch jemand auf, wenn ein Vorgesetzter mit einer Untergebenen ein Verhältnis hat, und auch Eheversprechen werden leichter gebrochen - wenn das Wagnis Ehe überhaupt noch eingegangen wird. Trotzdem gibt es natürlich zeitlose Werte wie Treue, Nächstenliebe und Vertrauen, die auch heute erstrebenswert sind. Nach Hamburg ist das Stück bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen und dem Theater im Pfalzbau Ludwigshafen zu sehen.