Verlage haben die Katalanen entdeckt
Frankfurt/Main/dpa. - Ein «zerbrechliches Land» hat der bekannte irische Erzähler und Katalonien-Kenner Colm Toíbín den nordöstlichen Landstrich in Spanien genannt.
Das Ende der Franco-Diktatur in den 70er Jahren hat den auf ihre Geschichte so stolzen Katalanen nicht nur die Neuentdeckung ihrer in Spanien jahrzehntelang verbotenen Sprache gebracht, sondern hat auch den auf Katalanisch schreibenden Autoren ein neues Forum verschafft. Im Ausland sind bisher nur wenige bekannt geworden.
Zur Frankfurter Buchmesse (10. bis 14. Oktober), deren Ehrengast dieses Jahr die katalanische Kultur ist, haben die deutschsprachigen Verlage jetzt allein 70 Belletristik-Titel in ihr Programm genommen. Der Bogen spannt sich vom 1600 Seiten starken Ritter-Roman von Joanot Martorell, der im 15. Jahrhundert das katalanische «Nibelungenepos» schrieb, bis hin zu jungen katalanischen Autoren.
Suhrkamp hat bereits seit vielen Jahren auf Katalanisch schreibende Autoren wie Merçè Rodoreda im Programm und publiziert die ebenfalls aus Katalonien stammenden weit prominenteren Schriftsteller Eduardo Mendoza oder Carlos Ruiz Zafón, die allerdings auf Spanisch schreiben. Sinnigerweise schreibt Mendoza seine Theaterstücke wiederum auf Katalanisch.
Von Rodoreda (1908-1983) wurde der Klassiker «Auf der Plaça del Diamant» neu aufgelegt. Wie sie in ihrem nüchtern-lakonischen Stil das einfache Leben einer Frau im Barcelona zur Zeit des Bürgerkriegs schildert, ist faszinierend. Colometa, die ihren Mann im Bürgerkrieg verliert und den übergeordneten Zwängen der Politik ausgeliefert ist, nimmt dennoch ihr Leben in die Hand. In Rodoredas erstmals veröffentlichtem Roman «Weil Krieg ist» schildert sie, wie ein junger Mann in den Krieg stolpert - eine weitere Auseinandersetzung mit dem düstersten Kapitel der katalanischen Geschichte.
Rodoreda ging nach dem Sieg Francos ins Exil. Josep Pla, der andere große katalanische Klassiker, blieb. Doch seine Werke waren verboten. Pla, ein gelernter Journalist, erzählt weniger wortgewaltig als Rodoreda, aber leicht und mit feiner Ironie. In seinem bei Ammann erschienenen Roman «Enge Straße» geht es um das dörfliche Leben in der katalanischen Provinz der 50er Jahre. Das wirkt zuerst einmal antiquiert, liest sich jedoch amüsant, weil Plas Charaktere und Geschichten originell sind.
Der Bürgerkrieg hat die katalanische Literatur bis in die Gegenwart nicht losgelassen. Zur Buchmesse liegt jetzt Jaume Cabrés große Saga «Die Stimmen des Flusses» vor. In dem Roman - 2004 in Barcelona erschienen - schlägt er mit großer Rasanz und vielen Rückblenden die Brücke von Franco zur Neuzeit. Cabrés dramatisches und spannendes Epos, das an große lateinamerikanische Erzähler wie Mario Vargas Llosa erinnert, gehört sicher zu den wichtigsten Neuerscheinungen.
Doch die katalanische Kultur umfasst auch noch andere Regionen, wie die Balearen. Piper hat den Mallorca-Klassiker von Llorenç Villalonga, «Das Puppenkabinett des Senyor Bearn», neu aufgelegt. In dem Roman geht es ähnlich wie in Lampedusas berühmtem Sizilien-Roman «Gattopardo» um das Schicksal einer noblen Familie im ausgehenden 19. Jahrhundert, als Mallorca noch nicht der Deutschen liebste Ferieninsel war.
Von der 1948 in Mallorca geborenen Carme Riera, die auch zu den wichtigen katalanischen Autoren zählt, liegt ein sehr vergnügliches Buch mit dem Titel «Der englische Sommer» vor. Es ist eine fesselnd geschriebene Parodie auf den englischen Schauerroman. Riera ist ein Beispiel dafür, dass die jüngere katalanische Autorengeneration schon längst ihre Themen außerhalb der Region sucht. Dazu gehört vor allem Bestseller-Autor Albert Sánchez Piñol. Nach dem Welterfolg mit «Im Rausch der Stille» beweist der Anthropologe auch mit seinem Afrika- Roman «Pandora im Kongo», dass er in der Gattung der exotisch- fantastischen Literatur zu den herausragenden Erzählern gehört.
Ebenfalls der Gattung des fantastischen Romans ist Miquel de Palol zuzurechnen, dessen «Im Garten der sieben Dämmerungen» in seiner Heimat als katalanisches «Dekamerone» gefeiert wird. Er hat die unterschiedlichsten Genres und Stränge zu einem über 1100 Seiten langen Opus verwoben, das er im Katalonien des Jahres 2024 angesiedelt hat.
Von Quim Monzó, einem in Katalonien sehr populären Autor, der witzig die kleinen Katastrophen des Alltags beschreibt, liegen jetzt erstmals alle Kurzgeschichten in einem Band vor. Nicht alle gehen aber über die Qualität von Feuilleton-Glossen hinaus.
Wer sich erst einmal einen Überblick über die katalanische Kultur machen will, dem sei der bei dtv erschienene Band «Willkommen in Katalonien» empfohlen. Darin sind zahlreiche Autoren versammelt, die unter den verschiedensten Blickwinkeln einen unkonventionellen und oft erfrischenden Blick auf ihr «zerbrechliches Land» wagen.
Joanot Martorell: Der Roman vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc.
Übers.: Fritz Vogelgsang,
S. Fischer Verlag Frankfurt/Main,
1656 Seiten, 78 Euro,
ISBN: 978-3-1004-2603-1
Merçè Rodoreda: Auf der Plaça del Diamant
Übers.: Hans Weiss
Suhrkamp Taschenbuch Verlag Frankfurt/Main
251 S., 8,50 Euro
ISBN: 978-3-5184-5878-5
Weil Krieg ist
Übers.: Angelika Maass
Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main
180 S., 18,80 Euro
ISBN: 978-3-5184-1927-4
Josep Pla: Enge Straße
Übers.: Kirsten Brandt
Ammann Verlag Zürich
283 S., 19,90 Euro
ISBN: 978-3-2501-0509-1
Jaume Cabré: Die Stimmen des Flusses
Übers.: Kirsten Brandt
Insel Verlag Frankfurt/Main
671 S., 22,80 Euro
ISBN: 978-3-4581-7363-2
Llorenç Villalonga, Das Puppenkabinett des Senyor Bearn
Übers.: Jürg Koch
Piper Verlag München
368 S., 22,90 Euro
ISBN: 978-3-4920-4908-5
Carme Riera: Der englische Sommer
Übers.: Kirsten Brandt
Ullstein Verlag Berlin
128 S., 16,90 Euro
ISBN: 978-3-5500-8703-5
Albert Sánchez Piñol: Pandora im Kongo
Übers.: Charlotte Frei
S. Fischer Verlag Frankfurt/Main
480 S., 19,90 Euro
ISBN: 978-3-1006-1603-6
Miquel de Palol: Im Garten der sieben Dämmerungen
Übers.: Theres Moser
Aufbau Verlag Berlin
1133 S., 24,95 Euro
ISBN: 978-3-3510-3213-5
Quim Monzó: 100 Geschichten
Übers.: Monika Lübcke
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/Main
786 S., 25 Euro
ISBN: 978-3-6270-0146-9
Jaume Subirana (Hrsg.): Willkommen in Katalonien
dtv Verlag München
319 S., 9,50 Euro
ISBN: 978-3-4231-3605-1