1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Verlage haben die Katalanen entdeckt

Verlage haben die Katalanen entdeckt

Von Thomas Maier 09.10.2007, 08:11

Frankfurt/Main/dpa. - Ein «zerbrechliches Land» hat der bekannte irische Erzähler und Katalonien-Kenner Colm Toíbín den nordöstlichen Landstrich in Spanien genannt.

Das Ende der Franco-Diktatur in den 70er Jahren hat den auf ihre Geschichte so stolzen Katalanen nicht nur die Neuentdeckung ihrer in Spanien jahrzehntelang verbotenen Sprache gebracht, sondern hat auch den auf Katalanisch schreibenden Autoren ein neues Forum verschafft. Im Ausland sind bisher nur wenige bekannt geworden.

Zur Frankfurter Buchmesse (10. bis 14. Oktober), deren Ehrengast dieses Jahr die katalanische Kultur ist, haben die deutschsprachigen Verlage jetzt allein 70 Belletristik-Titel in ihr Programm genommen. Der Bogen spannt sich vom 1600 Seiten starken Ritter-Roman von Joanot Martorell, der im 15. Jahrhundert das katalanische «Nibelungenepos» schrieb, bis hin zu jungen katalanischen Autoren.

Suhrkamp hat bereits seit vielen Jahren auf Katalanisch schreibende Autoren wie Merçè Rodoreda im Programm und publiziert die ebenfalls aus Katalonien stammenden weit prominenteren Schriftsteller Eduardo Mendoza oder Carlos Ruiz Zafón, die allerdings auf Spanisch schreiben. Sinnigerweise schreibt Mendoza seine Theaterstücke wiederum auf Katalanisch.

Von Rodoreda (1908-1983) wurde der Klassiker «Auf der Plaça del Diamant» neu aufgelegt. Wie sie in ihrem nüchtern-lakonischen Stil das einfache Leben einer Frau im Barcelona zur Zeit des Bürgerkriegs schildert, ist faszinierend. Colometa, die ihren Mann im Bürgerkrieg verliert und den übergeordneten Zwängen der Politik ausgeliefert ist, nimmt dennoch ihr Leben in die Hand. In Rodoredas erstmals veröffentlichtem Roman «Weil Krieg ist» schildert sie, wie ein junger Mann in den Krieg stolpert - eine weitere Auseinandersetzung mit dem düstersten Kapitel der katalanischen Geschichte.

Rodoreda ging nach dem Sieg Francos ins Exil. Josep Pla, der andere große katalanische Klassiker, blieb. Doch seine Werke waren verboten. Pla, ein gelernter Journalist, erzählt weniger wortgewaltig als Rodoreda, aber leicht und mit feiner Ironie. In seinem bei Ammann erschienenen Roman «Enge Straße» geht es um das dörfliche Leben in der katalanischen Provinz der 50er Jahre. Das wirkt zuerst einmal antiquiert, liest sich jedoch amüsant, weil Plas Charaktere und Geschichten originell sind.

Der Bürgerkrieg hat die katalanische Literatur bis in die Gegenwart nicht losgelassen. Zur Buchmesse liegt jetzt Jaume Cabrés große Saga «Die Stimmen des Flusses» vor. In dem Roman - 2004 in Barcelona erschienen - schlägt er mit großer Rasanz und vielen Rückblenden die Brücke von Franco zur Neuzeit. Cabrés dramatisches und spannendes Epos, das an große lateinamerikanische Erzähler wie Mario Vargas Llosa erinnert, gehört sicher zu den wichtigsten Neuerscheinungen.

Doch die katalanische Kultur umfasst auch noch andere Regionen, wie die Balearen. Piper hat den Mallorca-Klassiker von Llorenç Villalonga, «Das Puppenkabinett des Senyor Bearn», neu aufgelegt. In dem Roman geht es ähnlich wie in Lampedusas berühmtem Sizilien-Roman «Gattopardo» um das Schicksal einer noblen Familie im ausgehenden 19. Jahrhundert, als Mallorca noch nicht der Deutschen liebste Ferieninsel war.

Von der 1948 in Mallorca geborenen Carme Riera, die auch zu den wichtigen katalanischen Autoren zählt, liegt ein sehr vergnügliches Buch mit dem Titel «Der englische Sommer» vor. Es ist eine fesselnd geschriebene Parodie auf den englischen Schauerroman. Riera ist ein Beispiel dafür, dass die jüngere katalanische Autorengeneration schon längst ihre Themen außerhalb der Region sucht. Dazu gehört vor allem Bestseller-Autor Albert Sánchez Piñol. Nach dem Welterfolg mit «Im Rausch der Stille» beweist der Anthropologe auch mit seinem Afrika- Roman «Pandora im Kongo», dass er in der Gattung der exotisch- fantastischen Literatur zu den herausragenden Erzählern gehört.

Ebenfalls der Gattung des fantastischen Romans ist Miquel de Palol zuzurechnen, dessen «Im Garten der sieben Dämmerungen» in seiner Heimat als katalanisches «Dekamerone» gefeiert wird. Er hat die unterschiedlichsten Genres und Stränge zu einem über 1100 Seiten langen Opus verwoben, das er im Katalonien des Jahres 2024 angesiedelt hat.

Von Quim Monzó, einem in Katalonien sehr populären Autor, der witzig die kleinen Katastrophen des Alltags beschreibt, liegen jetzt erstmals alle Kurzgeschichten in einem Band vor. Nicht alle gehen aber über die Qualität von Feuilleton-Glossen hinaus.

Wer sich erst einmal einen Überblick über die katalanische Kultur machen will, dem sei der bei dtv erschienene Band «Willkommen in Katalonien» empfohlen. Darin sind zahlreiche Autoren versammelt, die unter den verschiedensten Blickwinkeln einen unkonventionellen und oft erfrischenden Blick auf ihr «zerbrechliches Land» wagen.

Joanot Martorell: Der Roman vom Weißen Ritter Tirant lo Blanc.

Übers.: Fritz Vogelgsang,

S. Fischer Verlag Frankfurt/Main,

1656 Seiten, 78 Euro,

ISBN: 978-3-1004-2603-1

Merçè Rodoreda: Auf der Plaça del Diamant

Übers.: Hans Weiss

Suhrkamp Taschenbuch Verlag Frankfurt/Main

251 S., 8,50 Euro

ISBN: 978-3-5184-5878-5

Weil Krieg ist

Übers.: Angelika Maass

Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main

180 S., 18,80 Euro

ISBN: 978-3-5184-1927-4

Josep Pla: Enge Straße

Übers.: Kirsten Brandt

Ammann Verlag Zürich

283 S., 19,90 Euro

ISBN: 978-3-2501-0509-1

Jaume Cabré: Die Stimmen des Flusses

Übers.: Kirsten Brandt

Insel Verlag Frankfurt/Main

671 S., 22,80 Euro

ISBN: 978-3-4581-7363-2

Llorenç Villalonga, Das Puppenkabinett des Senyor Bearn

Übers.: Jürg Koch

Piper Verlag München

368 S., 22,90 Euro

ISBN: 978-3-4920-4908-5

Carme Riera: Der englische Sommer

Übers.: Kirsten Brandt

Ullstein Verlag Berlin

128 S., 16,90 Euro

ISBN: 978-3-5500-8703-5

Albert Sánchez Piñol: Pandora im Kongo

Übers.: Charlotte Frei

S. Fischer Verlag Frankfurt/Main

480 S., 19,90 Euro

ISBN: 978-3-1006-1603-6

Miquel de Palol: Im Garten der sieben Dämmerungen

Übers.: Theres Moser

Aufbau Verlag Berlin

1133 S., 24,95 Euro

ISBN: 978-3-3510-3213-5

Quim Monzó: 100 Geschichten

Übers.: Monika Lübcke

Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/Main

786 S., 25 Euro

ISBN: 978-3-6270-0146-9

Jaume Subirana (Hrsg.): Willkommen in Katalonien

dtv Verlag München

319 S., 9,50 Euro

ISBN: 978-3-4231-3605-1