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Unheilig Unheilig:

Von Juliane Gringer 11.06.2012, 15:30

Berlin/MZ. - Zehn Jahre lang war Unheilig eher ein Geheimtipp in der Gothic-Szene, bevor sie im Jahr 2010 für Nordrhein-Westfalen beim Bundesvision Song Contest antraten, gewannen - und damit schlagartig bekannt wurden. „Der Graf“ ist der Kopf dieser Aachener Gruppe, die mit Songs wie „Geboren um zu leben“ viele Fans gewonnen hat und ihren Erfolg mit dem neuen Album „Lichter der Stadt“ weiter ausbauen will. Im Interview mit Juliane Gringer spricht der Graf über Erfolg, Gefühle und wie man daraus Musik macht.

Herr Graf, Sie sagen, Ihr neues Album „Lichter der Stadt“ ist ein musikalisches Tagebuch. Was will es uns erzählen?

Der Graf: Es ist in den vergangenen beiden Jahren entstanden, seit 2010, als wir den Bundesvision Song Contest und einen Bambi gewonnen haben. Ich war in dieser Zeit fast nur unterwegs und es ist so viel auf mich eingerasselt: Ich habe unterschiedlichste Orte gesehen, Dinge erlebt und Menschen getroffen. Ich brauchte einen Weg, um zu reflektieren, was um mich herum passiert und um mit all diesen Emotionen, diesen Ängsten und Hoffnungen, umgehen zu können. Der Erfolg kam sehr plötzlich und wenn du als Künstler in so einer neuen Situation ankommst, dann musst du das erst mal sacken lassen. Genau das konnte ich aber nicht richtig, weil noch mehr Neues dazu kam. Ich habe es schließlich in der Musik verarbeitet.

Es ist ein Konzeptalbum geworden. Wofür steht der Titel „Lichter der Stadt“?

Der Graf: Ich habe mich in den vergangenen Jahren gefühlt wie ein kleiner Junge, der vom Land kommt und zum ersten Mal in die große Stadt fährt und die vielen Lichter sieht. Gleichzeitig steht es als Bild für viele kleine Erinnerungslichter, die in dieser Zeit aufgeblitzt sind und besondere Momente, die mich zu Liedern inspiriert haben. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir Konzerte in Krankenhäusern und Hospizen gegeben haben, weil wir dorthin auf Wunsch der Patienten und Bewohner eingeladen wurden. Danach habe ich „Unsterblich“ und „Ein guter Weg“ geschrieben. Mir ist auch bewusst geworden, dass ich als Künstler gerade meine beste Zeit habe. Aus diesem Gedanken ist der Song „Tage wie Gold“ entstanden.

Stimmt es, dass Sie die Songs unterwegs geschrieben haben?

Der Graf: Ja, wir haben überall, wo wir hinkamen, ein kleines Studio aufgebaut, in Hotelzimmern oder backstage oder sogar im Auto. Alles, was in meinem Kopf herumgegeistert ist, habe ich in der Musik verarbeitet und konnte mir so ein Stück weit mein neues Leben als Künstler erklären.

Wie sieht dieses Leben aus?

Der Graf: Es hat sich komplett gewandelt. Ich komme aus einer ruhigeren musikalischen Szene, die sehr übersichtlich ist. Unheilig war bis zum Jahr 2010 so gut wie gar nicht in den Medien präsent. Und plötzlich war das Interesse riesig und unsere Bekanntheit wuchs immer mehr. Unheilig ist seitdem vielleicht professioneller produziert und musikalisch mehr auf den Punkt. Aber wir sind deshalb keine andere Band geworden.

Das neue Album klingt im Gegensatz zu älteren Unheilig-Platten aber leichter und poppiger. Wieso hat sich ihr Stil über die Jahre so verändert?

Der Graf: Ich muss immer schmunzeln, wenn gesagt wird, dass ich mich verändert hätte. Ich mache das nicht mit Absicht, ich kann einfach nicht anders. Ich mache immer die Musik, die ich gerade mache. Dazu kommt, dass es natürlich wirklich einen Unterschied macht, ob ein Album professionell produziert werden kann. Bei meinen ersten Alben war ich noch ganz alleine und damit automatisch begrenzt im eigenen Können.

Der Unheilig-Sound ist unbestritten sehr abwechslungsreich. Können oder wollen Sie sich nicht festlegen?

Der Graf: Beides. Meine Musik ist ein Spiegel meines persönlichen Musikgeschmacks und ich höre alles außer Marschmusik. Ich mag Musik wirklich in fast jeder Form. Wenn ich einen Song schreibe, entwickle ich auch immer eine Vorstellung davon, wie er klingen soll und beschreibe das dann mit Sound einer bestimmten Band. Ich bin also zum Beispiel zu meinem Produzenten gegangen und habe gesagt, der Song „Eisenmann“ soll wie Rammstein klingen.

Die meisten Musiker würden sich nicht trauen das zuzugeben.

Der Graf: Wieso? Das hat nichts mit Nachahmen zu tun, ich bekomme einfach auf diese Art meine musikalischen Vorstellungen gut umgesetzt. Jeder hat seinen eigenen Stil, aber so kann ich genau benennen, was ich mir vorstelle. Letztlich ist für die eigene Musik wichtig, dass man sich selber treu bleibt.

Die meisten Ihrer Lieder klingen traurig, der Text ist aber durchaus optimistisch.

Der Graf: Ja, ich versuche immer etwas Positives zu transportieren. Ich bin ein recht sensibler Mensch. Mich kann man nicht an- und ausschalten.

Ist „Lichter der Stadt“ Ihr bisher persönlichstes Album?

Der Graf: Dass ein Album so eine Vielzahl von Emotionen abdeckt, das gab es zumindest vorher nicht. Für mich sind aber immer schon persönliche Momente Anlass für neue Stücke gewesen, aus einem Gespräch heraus oder wenn mich etwas beschäftigt. Wenn ein Thema in mir arbeitet, dann brauche ich die Musik, um es mir von der Seele zu schreiben. Die Kritik, die mir beispielsweise mit dem Erfolg von vielen Seiten entgegenschlug, habe ich in „Eisenmann“ verarbeitet: Ich habe mir eine Ritterrüstung gewünscht, an der alles abprallen lassen und mit deren Hilfe ich weiter meinen Weg gehen kann, um mein Glück zu finden. Ich habe heute mehr Mut zu Gefühlen, früher habe ich sie eher versteckt – und so sah ich dann auch aus.

Die Szene fühlte sich verraten, wirft ihnen vor, dass Sie sich dem Mainstream verkauft haben.

Der Graf: Das ist ein schwieriges Thema. Schon als wir zum ersten Mal im Radio gespielt wurden, gab es Fans, die sofort ihre ganze Sammlung bei Ebay verkauft haben. Wir haben sicher in den letzten zwei Jahren viele Dinge gemacht, die polarisieren: Ob es ein Auftritt bei Carmen Nebel war oder dass wir überhaupt in so vielen Fernsehshows aufgetreten sind. Ich komme mit der Kritik klar, weil ich weiß, dass das was ich tue, nicht falsch ist. Jeder darf meine Musik hören und seine Meinung dazu sagen. Und ich freue mich über Einladungen zu Shows, Events oder Radiostationen.

Denken Sie jetzt schon an die nächste Platte?

Der Graf: Ich zwinge mich dazu, es nicht zu tun. Ich habe so viele Ideen und Pläne und im Moment auch so viel Energie. Der Erfolg gibt mir unheimlich Auftrieb und die Kraft kommt aus der Musik heraus. Musik zu machen, das ist für mich ein Hobby, eine Leidenschaft, die ich zum Beruf machen konnte. Dafür bin ich sehr dankbar und genieße es.

Der Erfolgsdruck beim neuen Album war aber sicher groß. Wie gehen Sie damit um?

Der Graf: Vor der Veröffentlichung war ich einfach gespannt, was passieren würde. Ich wollte gern wissen, ob „Große Freiheit“ eine Eintagsfliege war, weil es dem Zeitgeist entsprach und in einem Moment erschienen ist, wo deutsche Musik und Gothic angesagt waren. Ich dachte, jetzt wird sich zeigen, ob die Reise weitergeht und ob die Menschen draußen meine Musik noch gerne hören. Glücklicherweise trifft beides zu.