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Böhmermann-Talk TV-Kritik von Anne Will: Serdar Somuncu: "Die Regierung soll sich hinter den Künstler stellen"

Von Tobias Peter 11.04.2016, 06:37
Die Talkrunde von Anne Will beschäftigte sich am Sonttagabend mit der Frage „Streit um Erdogan-Kritik - Kuscht die Bundesregierung vor der Türkei?“
Die Talkrunde von Anne Will beschäftigte sich am Sonttagabend mit der Frage „Streit um Erdogan-Kritik - Kuscht die Bundesregierung vor der Türkei?“ ARD

Berlin - So macht der Montagmorgen Spaß! Einfach mal ins Büro des Chefs stürmen und sagen: „Hören Sie mal zu, ich demonstriere Ihnen jetzt, was eine Schmähkritik ist.“ Dann den Chef mit allen möglichen Beleidigungen überziehen, die insbesondere seine Männlichkeit verunglimpfen. Und zuletzt sagen: „Dafür können Sie mich nicht bestrafen. Das habe ich hier wirklich nur als Demonstration gemacht, um zu zeigen, wo die Grenzen der Satire überschritten sind und die Beleidigung anfängt. Schönen Tag wünsche ich Ihnen noch.“

Es ist eine faszinierende Möglichkeit, die Fatih Zingal, stellvertretender Vorsitzender der Union europäisch-türkischer Demokraten, den Zuschauern des Sonntagabend-Talks von Anne Will zum Thema „Streit um Erdogan-Kritik – Kuscht die Bundesregierung vor der Türkei?“ hier aufzeigt. Nur dass der Rechtsanwalt Zingal sofort hinzufügt, so gehe das natürlich nicht. Seine Botschaft: Nur weil jemand sage, er werde gleich etwas Strafbares tun, heiße das ja noch lange nicht, dass die Tat deswegen hinterher nicht strafbar sei.

„Straftatbestand erfüllt“

Zingal bezieht sich auf das bitterböse Gedicht „Schmähkritik“, dass der ZDF-Moderator und Satiriker Jan Böhmermann über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verfasst hat. „Es wurde hier aller Voraussicht nach ein Straftatbestand erfüllt“, sagt Singer. So sieht es auch die türkische Regierung, die verlangt, es solle Strafverfolgung gegen Böhmermann geben. Die Bundesregierung muss nun – so sieht es das deutsche Gesetz vor – darüber entscheiden, ob sie ein Verfahren wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatschefs genehmigt.

Doch ist es so, wie Zingal sagt? Hat Böhmermann eine Straftat begangen? Oder hat er mit voller Berechtigung satirisch darauf reagiert, dass Erdogan wegen eines vergleichsweise harmlosen, politisch mehr als treffenden Satire-Beitrags der Sendung „Extra 3“ im NDR den deutschen Botschafter in der Türkei einbestellen ließ? Hat Erdogan auf diese Weise nicht geradezu darum gebeten, dass ihm mal jemand plastisch den Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik erklärt? Noch dazu, wenn man bedenkt, dass in der Türkei – wie Anne Will bemerkt –  zurzeit 1800 Menschen wegen Beleidigung des türkischen Präsidenten angeklagt sind?

Böhmermann hat einen Zwitter erschaffen

So sehen es mehrere der Gäste Anne Wills. Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen findet deshalb auch, es sei ein Fehler, dass das ZDF den Böhmermanns Beitrag aus der Mediathek entfernt habe. „Dieser Beitrag dokumentiert sehr gut den Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik und hätte schon deshalb drin bleiben sollen“, sagt sie.

Der  Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen befindet, Böhmermann habe eine Art Zwitter geschaffen – was Pörksen keinesfalls als Beleidigung verstanden wissen will. Das Werk des ZDF-Moderators sei „ein Hybrid zwischen Satire, die eine Debatte auslösen will, und Schmähkritik“. Das entscheidende dabei sei die Metakommunikation, das Satirische, der gesellschaftliche Debattenanstoß über die Grenzen der Satire. Der Kabarettist und Autor Serdar Somuncu fordert unmissverständlich: „Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich hinter ihren Künstler stellt.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) solle gegenüber der Türkei auf die Meinungsfreiheit verweisen und sich eine Einmischung verbitten.

Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok erwidert zwar, er gehe davon aus, dass es keine strafrechtlichen Konsequenzen für Böhmermann gebe. Er verteidigt aber auch, dass Merkel in einem Telefongespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu das Gedicht Böhmermanns als „bewusst verletzend“ bezeichnet hat. „Zur Meinungsfreiheit gehört natürlich auch, dass die Kanzlerin einen Text nicht gut findet“, sagt Brok.

Kuscht die Kanzlerin vor Erdogan, weil sie das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei nicht gefährden will? „Nein“, antwortet Brok auf die Frage von Moderatorin Anne Will. Der Kabarettist Somuncu lacht.

„Das ist Satire“, sagt er.