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Kunst Erst ab 18 - Sex-Ausstellung zwischen Kunst und Porno

Es ist eine Gratwanderung: Das NRW-Forum in Düsseldorf lädt ein zu einer Ausstellung über die ganze Komplexität der Sexualität. Jugendfrei ist die Schau nicht.

Von Dorothea Hülsmeier, dpa Aktualisiert: 10.08.2025, 09:40
Die Ausstellung ist erst ab 18 Jahren freigegeben.
Die Ausstellung ist erst ab 18 Jahren freigegeben. Federico Gambarini/dpa

Düsseldorf - Es geht zur Sache in Düsseldorf. Lust, Fetisch und Porno - das NRW-Forum lädt mit der Ausstellung „Sex Now“ dazu ein, „Lust, Körper und Begehren in all ihrer Komplexität zu entdecken. Ab dem 5. September präsentiert die Schau sexualisierte Kunstwerke, virtuelle Stimulatoren, feministische Porno-Filme, App-gesteuerte Hightech-Sextoys - und getragene Socken.

So brisant ist die Gratwanderung zwischen Kunst und Porno, dass das NRW-Forum bei einigen Arbeiten im Austausch mit Polizei und Staatsanwaltschaft stand, um zu klären, was als pornografisch oder künstlerisch gilt. Das Resultat: Rund einen Monat vor dem Start legte das Haus fest, dass die gesamte Schau erst ab 18 Jahren freigegeben wird. „Sex Now“ zeige „künstlerische Arbeiten mit expliziten sexuellen Inhalten“, begründete das NRW-Forum den besonderen Jugendschutz.

Sex durchdringt die ganze Kunstgeschichte

Das NRW-Forum hat sich seit einigen Jahren der Pop- und Digitalkultur verschrieben und erregte mit Ausstellungen etwa zu „Superhelden“ aus Comics und Filmen Aufsehen. Nun sei es mal wieder an der Zeit, eine Schau über Sex zu machen, fand der künstlerische Leiter Alain Bieber.

„Ohne Sex wären wir alle nicht auf der Welt“, sagt er. „Sex durchdringt auch die ganze Kunst- und Designgeschichte.“ Und Sexualität sei auch politisch. Weltweit gerieten die sexuelle Freiheit und Aufklärung derzeit unter Druck. Diversitätsprogramme würden zurückgefahren, und es werde auch in Deutschland die Debatte geführt, ob Regenbogenfahnen gehisst werden sollten oder nicht.

Sogar das Personal aus der Abteilung kulturelle Bildung und Aufsichtskräfte wurden für die Sex-Ausstellung geschult, denn es würden auch politisch und gesellschaftlich umstrittene Themen angesprochen, sagt Bieber. Es sei wichtig, alle Mitarbeitenden mitzunehmen, denn man merke relativ schnell, wie offen jemand sei für das Thema Sex. Es habe aber schon bei der Vorbereitung auch lustige Reaktionen gegeben von Kollegen, „die sich gewundert haben, warum da plötzlich so 20 Sextoys rumliegen“.

Von Beate Uhse bis zum virtuellen Sex-Simulator

Die Schau leuchtet viele Dimensionen der Sexualität aus: Dazu gehört die sexuelle Revolution der 1968er Jahre mit einem Sexualkunde-Atlas von 1969, einem Beate-Uhse-Katalog oder dem „Schulmädchenreport“, aber auch „Fleshie Fountain“, eine aktuelle Installation der Künstlerin Peaches. Ursprünglich für männliche Selbstbefriedigung konzipierte Sextoys aus Silikon werden zu autonomen Wesen, die sich gegenseitig befriedigen.

In einem digitalen Spiel mit VR-Brillen können Besucher und Besucherinnen unterschiedliche Körper annehmen, Geschlechtsmerkmale selbst gestalten und erotische Beziehungen miteinander eingehen - das gegenseitige Einverständnis vorausgesetzt. Den Sex- und Liebessimulator im virtuellen Raum hat die 3D-Künstlerin Miyö van Stenis entwickelt.

An interaktiven Stationen können Kenntnisse zu Mythen und Fakten rund um Sex getestet werden. Das „Sexoscope“ stellt Prognosen zur Zukunft von Sexualität auf. Neben erotischen Skulpturen und Accessoires werden auch Kleidungsstücke einer Fetisch-Online-Plattform ausgestellt: getragene Socken oder Unterwäsche mit Rückständen von Körperflüssigkeiten.

Es geht auch um Aufklärung

Um Aufklärung geht es auch: Ein Kunstkollektiv hat Genitalmodelle aus buntem Stoff und Glitzer geschaffen, die zusammengesetzt werden können. Bei Themen der Sexualität seien Aufklärung und Wissen generell wichtig, damit es nicht zu Missverständnissen komme, sagt Kurator Bieber. Gerade auch bei jüngeren Menschen herrsche viel Unwissenheit.

Das NRW-Forum wolle Räume öffnen „für Gespräche, die sonst selten geführt werden“. Queere Identitäten, weibliche Lust, Pornografie und Machtverhältnisse würden thematisiert. Es geht auch um Politik: Das Kapitel #MeToo versammelt künstlerische Positionen zu Gewalt, Machtmissbrauch und sexuellen Übergriffen.

„Der Traum der Fischersfrau“

Sex ist schon jahrhundertelang auch Teil der Kunst. Als Beispiel dient die Replik des Gemäldes „Der Traum der Fischersfrau“ des berühmten japanischen Künstlers Hokusai (1760–1849), das der erotischen japanischen Kunstform Shunga zuzuordnen ist. Es zeigt eine nackte Frau, die sich von zwei Tintenfischen befriedigen lässt. Das Bild provoziere und schocke heute noch genauso wie vor 200 Jahren, so Bieber.

Heutzutage ist Sex auch ein Thema für Designer. So habe ein Startup aus Köln Reitkissen entwickelt. Das Unternehmen sei mit einem Preis des NRW-Wirtschaftsministeriums ausgezeichnet worden. „Das ist auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagt Bieber.

Porno-Kino und Erotik-Plattform

Auch ein kleines Porno-Kino gehört zur Ausstellung - gezeigt werden Filme feministischer Porno-Produzentinnen wie Erika Lust und Paulita Pappel. Die Filme würden zusammengeschnitten, „so dass es nicht so explizit ist“, sagt Bieber. „Sex Now“ will mit einer betont weiblichen Perspektive auf Sexualität auch patriarchalen Strukturen entgegenwirken, die die kommerzielle Pornografie und das Bild von Lust prägen.

Begleitend zur Ausstellung startet das NRW-Forum auch noch einen eigenen Account auf der Erotikplattform „Onlyfans“. Dort sollen Einblicke hinter die Kulissen und eine Auswahl der Werke unzensiert geteilt werden.

„Was bedeutet sexuelle Selbstbestimmung heute? Wer bestimmt, was begehrenswert ist? Wie verändern Technologien unser Verhältnis und Verständnis von Nähe?“ Diese Fragen stelle „Sex Now“, sagt Bieber. „Und hoffentlich kommen die Leute aufgeklärter aus der Ausstellung.“