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Mit Freude in die Platte Mit Freude in die Platte: ZDF-Doku beleuchtet drei große DDR-Mythen

Von Kai Agthe 12.07.2020, 08:00
In Erwartung von Fernheizung und fließend Warmwasser: Junge Familie vor Plattenbau in Ost-Berlin 1963.
In Erwartung von Fernheizung und fließend Warmwasser: Junge Familie vor Plattenbau in Ost-Berlin 1963. ZDF

Halle (Saale) - Der DDR-Volksmund nannte sie abschätzig „Arbeiterschließfach“ oder „Wohnklo mit Einbauküche“. Doch wer seinerzeit in eine Plattenbau-Wohnung ziehen konnte, freute sich, über Fernheizung und Warmwasser verfügen zu können. Vorbei die Zeit, da man Kohle schleppen oder eine halbe Treppe bis zur Toilette gehen musste.

Doch im Gegensatz zur landläufigen Meinung war der Plattenbau keine Erfindung der DDR, sondern wurde schon von dem Architekten Ernst May aus Frankfurt (Main) in der Weimarer Republik praktiziert, wie die Doku „Mythen der Gegenwart - Von der Platte bis zur Autobahn“ zeigt, die am Sonntag um 23.45 Uhr im ZDF zu sehen ist.

In der DDR hat man aber den Plattenbau industrialisiert, um der Wohnungsnot zu begegnen. Dass die Wohnungs- als soziale Frage bis 1990 gelöst sein sollte, war das gebetsmühlenartig wiederholte Versprechen von Staats- und Parteichef Erich Honecker, das er auch dann nicht hätte halten können, wenn die DDR in besagtem Jahr nicht Teil der Bundesrepublik geworden wäre.

Trabantenstädte hier wie dort

Marzahn in Ost-Berlin oder Halle-Neustadt waren bekannte Platten-Trabantenstädte in der DDR. Doch ähnlich unüberschaubare Wohngebiete entstanden zeitgleich auch in der Bundesrepublik. Daraus resultierende „Hochhaus-Neurosen“, so etwa der Titel einer TV-Doku über die Plattenbau-Siedlung Köln-Chorweiler von 1972, traten sowohl im Osten wie im Westen auf.

Ähnlich unrichtig wie die Vorstellung, dass in der DDR die Großtafel-, sprich: Plattenbauweise, erfunden wurde, ist der Glaube, dass die Autobahnen Adolf Hitler zu verdanken seien. Auch wenn das Projekt nach 1933 propagandistisch vorangetrieben wurde, so entstand die erste Schnellstraße doch bereits 1924 im Italien des Diktators Mussolinis: Die „Autostrada“ führte von Mailand nach Como.

Mit der Avus in Berlin war immerhin drei Jahre zuvor eine autobahn-ähnliche „Automobil Verkehrs- und Übungsstraße“ entstanden, die zunächst als Test- und Rennstrecke diente. Aber noch 1930 konnte sich der Staat nicht dazu durchringen, die „Hafraba“ genannte Autobahn zu finanzieren, die von Lübeck über Frankfurt (Main) bis nach Basel führen sollte. Doch auch im NS-Staat blieb die Reichsautobahn mehr Vision als Wirklichkeit. Von den 21.000 geplanten Kilometern wurden bis zum Jahr 1942 nur 4.000 Kilometer realisiert.

Die Kaufhaus-Könige

Während die Autobahnen heute unverzichtbar sind, ist die große Zeit der Kaufhäuser vorbei - wie das langsame Sterben der Kette Galeria Karstadt Kaufhof zeigt. Entstanden ist der Mythos Kaufhaus mit den ersten großen Konsumtempeln in den 20er Jahren. Unter den Kaufhaus-Königen waren gleich drei, die an der Ostsee ihren Aufstieg begannen: Georg Wertheim und Leonhard Tietz in Stralsund sowie Rudolph Karstadt in Wismar.

Hinzu kam Adolf Jandorf, der im proletarischen Osten Berlins Billigkaufhäuser etablierte und für den eleganten Westen der Reichshauptstadt das „Kaufhaus des Westens“ (KaDeWe) gründete. „Das Warenhaus steht für die Demokratisierung des Konsums“, sagt der Handelsexperte Nils Busch-Petersen. Die Digitalisierung hat die Demokratisierung jedoch ins Internet erweitert, das mit seinen Online-Shops den Kaufhäusern längst das Wasser abgegraben hat. (mz)

„Mythen der Gegenwart - Von der Platte bis zur Autobahn“: am Sonntag um 23.45 Uhr im ZDF