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TV-Tipp „Königin des Softpornos“ - Arte-Hommage an „Emmanuelle“

Nackt im Pool schwimmen? Sex im Flugzeug? Das kann heute keinen mehr schocken. Doch 1974 war das ein Riesen-Skandal. Die sexuelle Befreiung war mit „Emmanuelle“ auf der Kino-Leinwand angekommen.

Von Christof Bock, dpa 23.06.2021, 12:36
Sylvia Kristel als Hauptdarstellerin im Erotikfilm „Emmanuelle“ aus dem Jahr 1974.
Sylvia Kristel als Hauptdarstellerin im Erotikfilm „Emmanuelle“ aus dem Jahr 1974. --/ARTE/Emmanuelle Tinacra Films/dpa

Berlin - Ein ausgefuchster Produzent, der mit einem Skandalfilm schnelles Geld machen will. Ein prüder Regisseur, der diesen Film nur dreht, weil ihm seine Kartenlegerin dazu geraten hat. Eine junge Frau ohne große Schauspielerfahrung, die sich vor jeder Sexszene erst Mut antrinken muss.

Klingt nicht nach einem Blockbuster? Es wurde einer.

Der Erotikfilm „Emmanuelle“ mit Sylvia Kristel sprengte im Frankreich des Sommers 1974 die Vorstellungskraft von Millionen braver Menschen und wurde ein Welterfolg. Für Zuschauer des Jahres 2021 ist die Verfilmung der sexuellen Coming-of-Age-Geschichte von Emmanuelle Arsan eher biedere Kost. Doch das Kinopublikum stand damals Abend für Abend Schlange, um die erotischen Abenteuer einer liebeshungrigen Botschaftergattin zu sehen. Zwölf Jahre lief der erste Teil der Reihe ohne Unterbrechung in einem Kino an den Pariser Champs-Élysées. Arte geht am Freitag ab 21.45 Uhr dem Mythos „Emmanuelle“ auf den Grund.

Die unglückliche deutsche Untertitelung „Königin des Softpornos“ könnte Arte-Zuschauer in die Irre führen. Dokumentarfilmerin Clélia Cohen geht es nicht um die Schmuddelwelt der Bahnhofskinos. Sie macht deutlich, was für ein sexueller Urknall für Europa dieser Film war, den Just Jaeckin mit winzigem Team und winzigem Etat heimlich rund um Bangkok drehte. Während das deutsche Kino noch im Niemandsland zwischen steriler Aufklärung („Das Wunder der Liebe“) und blankem Voyeurismus („Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten“) irrlichterte, entstand hier Kino mit ästhetischem Anspruch.

Das Timing hätte besser nicht sein können. „Der Erfolg kam genau zum Zeitpunkt der sexuellen Befreiung, der Pille“, erklärt Jaeckin. „Es war ein gesellschaftliches Phänomen.“ Frankreich ist 1974 noch nicht sexuell befreit, wie Stylistin Pénélope Blanckaert sagt. „Aber die Jugend sehnt sich nach Emanzipation, nach der Freiheit der Körper und des Sex. Die 70er Jahre sind eine Art gesegnetes Jahrzehnt. Die Frauen tun mit ihrem Körper, was sie wollen.“ Und die Neugier ist groß. Die Leute gehen mit ihren Arbeitskollegen in den Film, reden darüber. Ob „Emmanuelle“ Zeugnis weiblicher Selbstermächtigung ist oder nur ein Sexfilm, der eine Frau zum Objekt macht, ist bis heute umstritten.

Zur Ikone geworden ist die Szene mit Emmanuelles Sex über den Wolken im Sessel einer Air-France-Maschine. „Für alle war das „die Szene““, erinnert sich der Regisseur an die Wirkung. „Alle hofften damals, Sex im Flugzeug zu haben.“ Dieser stürmische Auftakt der Handlung erwies sich als publikumswirksamer als die Sequenz mit einer Thailänderin und einer sehr eigenwillig gerauchten Zigarette, die Produzent Yves Rousset-Rouard als kalkulierten Skandal später hineinmontieren ließ.

Die meisten Beteiligten von „Emmanuelle“ gingen mit Vorbehalten in das Projekt, sie waren ja nicht irgendwer. Drehbuchautor Jean-Louis Richard hatte bereits am Skript des Truffaut-Erfolgs „Fahrenheit 451“ mitgeschrieben. Regisseur Jaeckin stieg in den Augen der Filmwelt später mit „Die Geschichte der O“ in den Arthaus-Olymp auf - Stanley Kubrick hat sogar von ihm geklaut. Der ölige „Emmanuelle“-Soundtrack von Pierre Bachelet ging fast 1,5 Millionen Mal über die Ladentheke.

Fast alle diese Leute machten nach dem gigantischen Kassenerfolg mit mehreren Fortsetzungen Karriere. Nur die damals 21 Jahre alte Hauptdarstellerin Sylvia Kristel, eine gelernte Sekretärin aus den Niederlanden, wurde den Stempel dieser Rolle trotz vieler ambitionierter Versuche nie mehr los. Zweimal noch sollte sie in die Rolle der Emmanuelle schlüpfen. In diesen Jahren begann dann schon die Flut vieler billiger Machwerke, die das Original, ja oft sogar dessen Namen, dreist kopierten. Die Welt hatte sich bereits verändert.