AfD-Politiker bei "Hart aber fair" Hart aber fair mit Frank Plasberg; Guido Reil und Boris Palmer diskutieren im Populismus-Talk

„Wo Populisten stark werden, haben andere etwas falsch gemacht“ – diese These stellt Frank Plasberg zu Beginn der Sendung am Montagabend in den Raum. Unfreiwillig komisch startete der Talk ohne Boris Palmer, der noch auf dem Weg ins Studio war – und so erstmal in einem Standbild neben den Mitdiskutierenden erscheint.
„Lasst uns Populisten sein“ – so lautet der Buchtitel von „Bild“-Autor Ralf Schuler, der Populismus als „Grundzutat jeder Politik“ bezeichnet. Er gehöre in die Mitte der Gesellschaft. WDR-Moderatorin Schayani ist diese Forderung zu unpräzise. Politikwissenschaftlicher Filzmaier empfihlt einen Selbsttest für Politiker, um herauszufinden, ob sie noch auf der „guten Seite des Populismus“ stehen, als Boris Palmer verspätet zur Runde stößt. Der lasche Konsens zu Beginn: Einfache Lösungen für komplizierte Probleme gibt es nicht. Nun, diesen Satz hat man wenigstens so oft gehört wie jede denkbare populistische Parole.
Das EU-Parlament als „Pickel am Arsch“
Schwung kommt mit einem Einspieler in die Sendung, der eine Rede von AfD-Politiker Reil zeigt, in der er das EU-Parlament als „so überflüssig wie einen Pickel am Arsch“ bezeichnet. „Ist das ein Beitrag zur Förderung der Demokratie?“ Bevor der Zuschauer die Chance hat, sich zu fragen, wen oder was Herr Plasberg mit dem Einspieler fördert, flüchtet sich Reil in Ausreden, so etwas sei im Wahlkampf doch üblich.
Boris Palmer sammelt Applaus ein, als er die Aussagen als „im Kern undemokratisch“ bezeichnet. „Wir halten das Parlament für nicht so wirklich demokratisch“, kontert der ehemalige Sozialdemokrat Reil in Bezug auf die EU-Institution. Er begründet diese Aussage mit dem Hinweis auf kleinere Länder wie Luxemburg, die vergleichsweise viele Stimmen haben.
„Dass die Parlamente nicht mehr die Wirklichkeit der Gesellschaft wiederspiegeln“ ist seine große Sorge, seine Wähler seien „anständige Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die die Welt nicht mehr verstehen.“ Gekontert wird er vom österreichischen Politikwissenschaftler Peter Filzmaier: „Sie behaupten, für das Volk zu sprechen. Es gibt kein Thema, bei dem es eine Einheitsmeinung unter Deutschen gibt“. Reil erwidert: „Eins können sie mir glauben: Tolerant sind die AfDler“ und weist auf Mobbing am Arbeitsplatz bei Wählern der eigenen Partei hin.
Schuler sieht keinen wesentlichen Unterschied zwischen der AfD und anderen Parteien. Der umstrittene Grünen-Politiker Boris Palmer schon: Er sieht in der Ankündigung Gaulands „Wir holen uns unser Volk zurück“ eine Bewegung hin zum Bürgerkrieg.
AfD-Gast Guido Reil wird zum Diskussionsgegenstand
Plasberg lässt eine Studie diskutieren, laut der 42 Prozent der Deutschen zu rechtspopulistischen Ansichten neigen. Die Journalistin Isabel Schayani empfindet Aussagen wie „Jeder sollte sich selbst hinterfragen“, die von einem SPD-nahen Institut, das die Studie entworfen hat, als plump. Schuler will die Aussage „Wir haben das falsche Volk“ herauslesen – und diffamiert die Soziologie als Fach am Rande der Wissenschaft. Er spricht von „Repräsentationsdefiziten“ und wirft der Kanzlerin vor, sich auf eine „imaginäre Mitte“ konzentriert zu haben.
„Die AfD ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, das zeigt für mich diese Studie“, freut sich Reil. Plasberg zeigt daraufhin ein Wahlplakat der AfD, auf dem eine weiße Frau auf einem arabischen Markt verkauft und vor „Eurabien“ gewarnt wird. „Künstlerische Darstellung mit einem realen Bezug“, nennt es Reil. Er und seine Parteifreunde hätten eben „Angst vor Überfremdung“. Den eigenen Wählern habe das Plakat gefallen. „Eigentlich wollte ich das Plakat nicht zeigen“, sagt Plasberg schon bei der ersten Einblendung. Ein inhaltlicher Grund, es doch zu tun, ist nicht ersichtlich. Die AfD wird es freuen.
Schayani befragt Reil zu seiner Vergangenheit als „Kumpel“ in einem Tagebau in Essen. Der AfD-Mann ist nach einer guten halben Stunde offenbar zum zentralen Thema der Sendung geworden. Sie will wissen, warum er pauschal gegen Menschen schießt, mit denen er „bestimmt zusammengearbeitet hat“. Reil antwortet gewohnt besorgt um das deutsche Wohl und kritisiert die „Mentalität“ vieler eingewanderter Menschen. Schayani findet das rassistisch.
Boris Palmer erklärt die Kritik an der Bahn
Dann kommt es, wie es kommen muss: Boris Palmer wird mit seinen umstrittenen Aussagen zur Werbekampagne der Deutschen Bahn konfrontiert. „Mich stört an der abgebildeten Gesellschaft nichts“, aber sie bilde eben nicht die deutsche Gesellschaft ab. Er vergleicht seinen Tweet mit dem Innenministerium von Horst Seehofer, in dem nur „alte weiße Männer“ arbeiten, was auch keine Gesellschaft abbilde. „Wir gehen immer mehr auf Identitätskonflikte ein“, kritisiert Palmer und fordert mehr linke Umverteilungspolitik.
Nun, sein Tweet war in dieser Hinsicht sicher nicht hilfreich, möchte man anmerken. Schuler spricht von „praktizierter Populismus-Prävention“. Der „Bild“-Buchautor ist auffällig geübt in Alliterationen. Er will keine „Gesellschaftspolitik über die Hintertür der Bahnwerbung verkauft bekommen“. Der Tübinger Oberbürgermeister Palmer „möchte einfach, dass meine Partei aufhört, immer mehr Leute zur AfD zu treiben“, wie er später anmerkt.
Eingespielt werden Aussagen von Palmers Parteikollegin Claudia Roth. Sie empfindet die Aussagen als rassistisch. Palmer warnt davor, den „Begriff Rassismus so zu verharmlosen“. Schayani fordert eine „Versachlichung der Debatte zugunsten des Inhalts“ – natürlich im Internet, im Fernsehen scheint dieses Ziel an jenem Montagabend ohnehin utopisch. Inhalte und Wahlprogramme sind eine Woche vor der EU-Wahl kein Diskussionsgegenstand.
Kevin Kühnert trotz Abwesenheit ein Thema
Die Zuschauerbeauftragte Brigitte Büscher zitiert AfD-Wähler, denen „keiner mehr zuhört“ – und die gutbürgerlich praktizierte Rituale („Mülltrennen“, „Steuern zahlen“, „Arbeiten“) auflisten um zu fragen: „Was wollt ihr eigentlich von mir?“ Andere schreiben: „Wer die Vorzuge des Parlaments leugnet, hat dort nichts zu suchen“.
„Wir wollen zurück zu den Wurzeln“, erklärt AfD-Politiker Reil pathetisch, möchte aus der EU aber nicht austreten – der Binnenmarkt ja schließlich schon Vorteile. Kevin Kühnert, der eigentlich an der Diskussion teilnehmen sollte, fehlt wegen einer Grippe. Plasberg will trotzdem wissen, ob seine Aussagen zu Sozialismus „Linkspopulismus“ sind. Ralf Schuler wittert eine weitere Empörungschance und beschwert sich, dass die Idee Sozialismus „30 Jahre nach der DDR“ im kollektiven Gedächtnis überhaupt noch vorhanden ist.
Populismus gibt es nicht nur in der Politik
Zum Abschluss lässt Plasberg ein weiteres AfD-Lieblingsthema besprechen: Restaurants und Organisationen, die Mitglieder der Partei von Guido Reil abweisen, weil sie einen „Widerspruch zu eigenen Grundwerten“ und „Rassismus“ sehen. Boris Palmer versteht „die Intention dahinter“, sieht in der Ausgrenzung aber eher eine Chance für Rechtspopulisten, sich in die Opferrolle zu begeben. Darum lässt sich Reil nicht zweimal bitten und beschwert sich über die regelmäßige Wahrnehmung eigener Zitate als „rassistisch“. Man habe ihm außerdem durch Ausgrenzung teilweise die Möglichkeit genommen, sich ehrenamtlich zu engagieren.
„Es kann nicht sein, dass ich jemanden als Mensch verstoße, weil ich seine Ansichten nicht teile“, ergänzt Schuler zustimmend – und zieht Parallelen zum „realen Sozialismus“. „Der Ausgrenzungsslogan hat der FPÖ in Österreich extrem geholfen“, ergänzt Filzmaier. Er will das gemeinsame Regierungsprogramm von konservativer ÖVP und rechtspopulistischer FPÖ, dass er als „klassisch mitte-rechts“ und „im Bereich des inhaltlichen Diskurses“ bezeichnet, von der sprachlichen Radikalisierung trennen – und nennt Begriffe wie „Bevölkerungsaustausch“ und „Ausreisezentrum“, die von der FPÖ genutzt werden.
Immerhin dieser kurze analytische Einwurf zum Ende der Sendung kann eine inhaltliche Bereicherung darstellen, ansonsten bietet die Diskussion über Populismus vor allem das Abbild einer verhärteten Diskurs-Front, an der kurz vor der Europawahl politische Inhalte höchstens unter „ferner liefen“ zu finden sind. Das liegt auch an repetitiven Fragestellungen mit geringer inhaltlicher Relevanz und hohem Eskalationspotential. Populismus gibt es eben nicht nur in der Politik, sondern auch im Fernsehen.
Dieser Text ist korrigiert worden. In einer früheren Fassung hatten wir irrtümlich Horst Seehofer (CSU) die Formulierung „Wir holen uns unser Land zurück“ zugeordnet. Das Zitat stammt von Alexander Gauland (AfD).