Finsterworld

18.07.2016, 22:01
Natalie (Carla Juri) und Dominik (Leonard Scheicher). Foto:  Walker und Worm Film/Markus Förderer
Natalie (Carla Juri) und Dominik (Leonard Scheicher). Foto:  Walker und Worm Film/Markus Förderer epa ansa

Berlin - Frauke Finsterwalder hatte schon lange eine Idee: Wenn sie einen Film realisieren sollte, dann mit ihrem Namen im Titel. „Ich fand ihn treffend, weil ich etwas Märchenhaftes erschaffen wollte”, sagte die Regisseurin vor rund drei Jahren in einem Gespräch mit „Zeit Online”, als ihre Tragikomödie „Finsterworld” in die Kinos kam.

Ihr Anliegen: „Die unheimlichen Klappen unter dem Sichtbaren zu öffnen, die Essenz der Gefühle zu betrachten.” Das Erste zeigt das Filmdebüt der gebürtigen Hamburgerin an diesem Dienstag (23.00 Uhr).

Schonungslos lotet Finsterwalder die menschlichen Beziehungen aus in einer Welt, die schön, aber unwirtlich und kalt ist. In der alle um Liebe und Anerkennung kämpfen, in der Beziehungen zerbrechen an der Unfähigkeit, einander wirklich nahe zu sein. Verschiedene Episoden fügen sich zu einem Film mit prägnanten Dialogen und hervorragenden Schauspielern, allen voran der Berliner Leonard Scheicher als wohlstandsverwahrloster, verunsicherter Privatschüler Dominik.

Finsterwalders Beobachtungen sind mal erschreckend, unerträglich, mal komisch und anrührend. Die Regisseurin seziert die Befindlichkeiten der Charaktere mit dem Blick der Dokumentarfilmerin, was ihre Geschichte glaubwürdig und authentisch wirken lässt. Das Drama ist wie eine Achterbahnfahrt der Gefühle - es bezaubert und verstört gleichermaßen. Subtil entfaltet sich bei jeder der Figuren ihr eigenes, persönliches Drama.

Da ist etwa der Fußpfleger, dessen Besuch für seine betagten Kundinnen ein wichtiger Termin im einsamen Alltag ist. Liebevoll versorgt er sie mit selbstgebackenen Keksen. Eine rührende Geste, doch hinter dem ewigen Lächeln des Podologen (Michael Maertens) verbirgt sich ein abstoßendes Geheimnis.

Auch der Privatschüler Dominik leidet. Er kann sich fast alles kaufen - die Liebe und Wärme seiner Eltern dagegen ist für ihn unerschwinglich. Als seine Freundin einen anderen küsst, haut er auf einer Klassenfahrt einfach ab. Verzweifelt schlägt er sich zu Fuß durch die Pampa, auf dem Weg ins Nirgendwo. Und beschwört damit eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes herauf, in die auch seine Eltern verwickelt sind, ein zerstrittenes Ehepaar, hervorragend gespielt von Corinna Harfouch und Bernhard Schütz.

Gradlinig und präzise zeichnen Finsterwalder und ihr Ehemann, der Schriftsteller Christian Kracht, in ihrem Drehbuch eine Welt des schönen Scheins, in der es aber keine Geborgenheit gibt. Seelenlose Beziehungen etwa zwischen Dominiks Eltern kontrastieren sie mit kleinen, poetischen Momenten. Wie zufällig entstehen beglückende Begegnungen, etwa wenn die eingespielten Berührungen des Fußpflegers ein Lächeln ins Gesicht seiner alten Patientin zaubern.

Bisweilen ist der Film auch schockierend. Etwa, wenn die Schüler den Besuch in einem Konzentrationslager völlig gleichgültig über sich ergehen lassen. Und schlimmer noch, eine Klassenkameradin in einen leeren Verbrennungsofen stoßen und dort einsperren. Hier offenbaren sich eisige Gefühlskälte und überhebliches Desinteresse. Ein Schock auch für den Lehrer (Christoph Bach), dem der Ausflug sehr am Herzen liegt und der feststellen muss, dass seine Schüler so übersättigt sind, dass selbst die Nazi-Gräuel sie scheinbar gleichgültig lassen.

„Das Darstellerensemble ist Crème de la crème, der minimalistische Soundtrack der grandiosen Künstlerin Michaela Melian schon für sich ein Trumpf”, schrieb „Spiegel Online” vor drei Jahren. „Die Settings haben sämtlich etwas merkwürdig Hyperreales, die Bilder scheinen wie unter einem Brennglas zu liegen, es gibt keine Statisten und keine Komparserie, in einem fort scheint die Sonne, es bleibt unklar, ob wir uns in einem Deutschland von heute oder von übermorgen befinden.”

Nicht nur bei Kritikern fand Finsterwalders Film Beachtung, auch bei Wettbewerben: 2013 gewann der Beitrag den Preis als besten Debütfilm beim „Word Film Festival” in Montréal, 2014 folgte der Deutsche Regiepreis Metropolis. (dpa)