Märchen statt Journalismus Claas Relotius: "Spiegel"-Magazin macht Betrugsskandal im eigenen Haus öffentlich

Er galt als Star der Branche, nun macht der „Spiegel“-Verlag seinen tiefen Fall öffentlich: Claas Relotius, vielfach ausgezeichneter Journalist, hat in großem Stil Geschichten frei erfunden und angebliche Fakten gefälscht. Etwa 60 Artikel hatte Relotius seit 2014 für „Der Spiegel“ und „Spiegel Online“ geschrieben – wie viele davon nicht mehr haltbar sind, wird nun geprüft.
"Spiegel"-Chefredakteur legt Betrugsfall offen
In einem Artikel, der die Betrugsfälle offenlegt, erklärt „Spiegel“-Chefredakteur Ullrich Fichtner auf „Spiegel Online“, dass Relotius Fälschungen gestanden habe, nachdem sich Verdachtsmomente gegen ihn immer mehr erhärtet hatten. Nachdem Relotius jahrelang unentdeckt Märchen spinnen konnte, war es ein Kollege, der dem Autoren auf die Spur kam und belastendes Material gegen ihn recherchierte.
„Mit hoher krimineller Energie getäuscht“
Relotius habe Kollegen und Leser „mit Vorsatz, methodisch und hoher krimineller Energie getäuscht“, heißt es auf „Spiegel Online“. So habe er zum Beispiel mit Protagonisten nie gesprochen, Zitate erfunden, sich aus anderen Medien bedient und Biografien erfunden.
Zu den Texten, die teilweise mehrfach ausgezeichnet wurden und hohe Wellen schlugen, zählten unter anderem „Die letzte Zeugin“, eine Reportage über eine Frau, die durch die USA reist, um Hinrichtungen beizuwohnen, „Löwenjungen“, die Geschichte zweier Kinder, die vom IS zu Attentätern umerzogen wurden, und die Reportage „Nummer 440“ über einen vermeintlichen Gefangenen in Guantanamo.
Der 33-jährige Relotius wurde unter anderem mit dem Deutschen Reporterpreis und dem Liberty Award ausgezeichnet. CNN kührte ihm zum Journalisten des Jahres 2017.
Eine eigens eingerichtete Kommission soll nun prüfen, wie viele Erzählungen Relotius, der auch für andere Medien tätig war, gefälscht hat.
Relotius habe seinen Vertrag gekündigt und sein Büro geräumt.
„Der Spiegel“ ist über Journalistenkreise hinaus für seine Dokumentationsabteilung bekannt, die Artikel von Autoren überprüft und Fakten checkt, bevor sie veröffentlicht werden. Wie die sogenannte Dok arbeitet und im Fall Relotius versagte, erklärt „Spiegel“ in einem eigenen Stück. (ken)