1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. TV-Tipp: "Der Tatortreiniger": TV-Tipp: "Der Tatortreiniger": Aufräumarbeiten im Halteverbot

TV-Tipp: "Der Tatortreiniger" TV-Tipp: "Der Tatortreiniger": Aufräumarbeiten im Halteverbot

Von Martin Weber 02.12.2014, 13:59

Das Wohnzimmer ist ein einziges Schlachtfeld. Scherben, kaputte Möbel und reichlich Blutspuren, wo man auch geht und steht. Beziehungsweise: vorsichtig versucht hinzutreten, um sich nach Möglichkeit nicht zu verletzen. Auch die übrigen Zimmer des Hauses mit Seeblick sehen nicht aus, wie sie aussehen sollten, sondern sind tüchtig derangiert. Was die Hausherrin, die Wiebke heißt und auch ein bisschen so aussieht, zu folgender Analyse veranlasst: „Das war kein Mann, das war ein Schwein“. Wiebke, mit vollem Namen Wiebke Kallings, sagt diesen Satz, als Heiko „Schotty“ Schotte in seiner Funktion als Tatortreiniger (und insofern bei der „Spube“ = Spurenbeseitigung und keinesfalls bei der „Spusi“ = Spurensicherung tätig) schon im Anmarsch ist. Mit seiner Arbeit kommt Schotty ins Spiel, wenn  alles schon passiert und kein Leben mehr zu retten ist. Er macht das weg, was vom Menschen übrigbleibt, wenn es ihn nach einem Unfall oder Mord dahingerafft hat: Blut, Innereien – und, wenn ein Körper schon länger tot irgendwo rumliegt, Würmer und Maden. Seinen Job nimmt Schotty ernst, er ist ein Fachmann in punkto Saubermachen bei schwierigen Fällen.

„Das war kein Mann, das war ein Schwein“, wiederholt Wiebke ein ums andere Mal, und natürlich findet auch Schotty, dass Männer, die nach einem Gemetzel so ein Schlachtfeld hinterlassen, unbedingt Schweine sind. Minutenlang reden Schotty und Wiebke Kallings haarscharf aneinander vorbei, bis sich herausstellt, dass die Polizei in dem Fall der Täter ist – und das Schwein eben doch kein Mann, sondern ein Wildschwein war. Bis es dann zum toten Wildschwein wurde, weil die Polizei es, nachdem es die Wohnung weitgehend verwüstet hatte, schließlich erschoss .

So konsequent wie schlicht „Schweine“ heißt die erste Folge der neuen Staffel von „Der Tatortortreiniger“ (NDR, 22.00 Uhr; im Anschluss folgt mit „Carpe diem“ eine weitere neue Episode), und schon zum Auftakt wird zum wiederholten Male klar, worin die große Qualität der Mini-Serie besteht. Ganz gleich, auf wen Bjarne Mädel als Heiko „Schotty“ Schotte in den übersichtlich arrangierten Settings trifft, die präzise wie ein Kammerspiel inszeniert sind: Es sind  weniger die zu säubernden Tatorte, um die es geht; Komik, Tragik Irrungen, Wirrungen und skurrile Wendungen erwachsen beim „Tatortreiniger“ stets aus den fokussierten und oft kargen Dialogen – und im Fall der Auftaktfolge aus der gemeinsamen Vergangenheit der Protagonisten.

Schotty tauscht Körperflüssigkeiten aus

Im Schatten des gerupften Gummibaums erkennen sich Wiebke und Schotty wieder, sie waren vor 15 Jahren, als „die tragbaren Telefone fast nicht größer waren als ein Ziegelstein“ ein Liebespaar. Die Sache ging seinerzeit auseinander, Schotty litt wohl mehr unter der Trennung als Wiebke, und im Hier und Jetzt fahren die beiden eine Runde auf dem Nostalgiekarussell. Beim gemeinsamen Rauchen mit Blick auf den See erzählen sie sich ihr gelebtes Leben, kramen in der gemeinsamen Vergangenheit und lassen ihre verschiedenen Lebensentwürfe aufeinanderprallen. „Und du?“, fragt sie, die Stickbilder mit verdrehten Sinnsprüchen wie zum Beispiel „Das Ziel ist im Weg“ herstellt. „Och ja“, sagt er, zögert, hält lange inne und lässt ein „auch“ erklingen, das mindestens so vielsagend und raumgreifend ist wie Loriots legendäres „Ach was!“.

Peu à peu kommt raus, mit wem Wiebke jetzt verheiratet ist; es ist ein Klassenkamerad, den Schotty noch nie leiden konnte. Die gemeinsame Tochter der beiden, so muss  Schotty anhand eines Fotos feststellen, sieht aber ihm verdammt ähnlich – und von da an nehmen die Dinge, der Tatort ist nicht mal ansatzweise gereinigt, Fahrt auf. Über diverse Eckpunkte der gemeinsamen Zeit – unter anderem ein neues Halteverbotsschild, das dazu führte, dass ein Auto nachts noch einmal ungeparkt werden musste – fräsen sich Schotty und Wiebke (die Fritzi Haberlandt ganz wunderbar spielt, nämlich zugleich verhuscht, bestimmend und fordernd) zurück in die Zeit ihrer Liebe und lassen es kurzerhand zum Austausch von Körperflüssigkeiten kommen. Der Sex, den Schotty und Wiebke haben, ist nicht schweinisch, aber auf jeden Fall wild, und später erklärt Schotty, sein Haar trägt er nach dem Vögeln offen, am Beispiel von Zahnersatz, dass eine Ersatzliebe gar nicht so schlecht sein muss, weil: Dass einzelne Zähne nicht echt sind, merkt er auch längst nicht mehr.

Draußen vor dem Haus tummelt sich derweil, nachdem Wiebke ihm endgültig einen Korb gegeben hat, das nächste Wildschwein. Schotty wird weiterputzen, und es ist eine helle Freude, dass der NDR nach großen Anlaufschwierigkeiten (die ersten Folgen wurden unregelmäßig gesendet und zudem im Nachtprogramm versteckt) endlich geschnallt hat, was für ein Schatz diese Serie ist.        

Insgesamt gibt es acht neue Episoden, ausgestrahlt werden die Doppelfolgen von „Der Tatortreiniger“ jeweils mittwochs im NDR-Fernsehen (am 10. und 17.12 um 22 Uhr, am 30.12. um 21.55 Uhr)