1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. TV-Nachkritik: Stuttgarter Tatort „Preis des Lebens“ nur schwer zu ertragen

TV-Nachkritik TV-Nachkritik: Stuttgarter Tatort „Preis des Lebens“ nur schwer zu ertragen

Köln - Der „Tatort“ aus dem Schwabenland ist nur schwer zur ertragen. Es fehlt an Glaubwürdigkeit, Empathie und Lokalkolorit. Zahlreiche Klischees und Widersprüche nerven.

Von Julia Floss 22.10.2015, 12:45

Der „Tatort“ aus dem Schwabenland ist nur schwer zur ertragen. Es fehlt an Glaubwürdigkeit, Empathie und Lokalkolorit. Zahlreiche Klischees und Widersprüche nerven.

Der Fall:
Im Zentrum steht ein abscheuliches Verbrechen: Vor 15 Jahren wurde die 16-Jährige Mareike Mendt von zwei Männern entführt, über 72 Stunden vergewaltigt und anschließend umgebracht. Die Täter fotografierten und filmten ihre abartige Tat und veröffentlichten dieses Material im Internet. Obwohl die Beschreibung vollkommen ausreichen würde, um das Ausmaß dieses widerwärtigen Verbrechens begreiflich zu machen, werden dem Zuschauer die Bilder nicht erspart. Das ist unnötig, es gibt weder eine Warnung noch eine Altersfreigabe.

Nun gut, bereits der Vorspann lässt erahnen: hier passiert gleich Schreckliches. Ein Heizungskeller, mit Bauschaum schallisoliert, mit Klebestreifen befestigte Folie am Boden, Fesselwerkzeug, Spritzen, Kanülen, Apothekergläser, eine tote Ratte - Der Beginn einer finsteren Geschichte über menschliche Abgründe. Einer der Täter von damals, Jörg Albrecht, wird aus der Haft entlassen und schnurstracks von Frank und Simone Mendt, den Eltern des Opfers, im besagten Folterkeller umgebracht.

Die Leiche von Albrecht wird in einer Mülltonne gefunden und für die Ermittler steht schnell fest: das waren Frank und Simone Mendt. Sie haben auch den Namen des zweiten Täters herausgefunden und rächen nun den Tod ihrer Tochter

Selbstverständlich schaffen die Kommissare Lannert und Bootz in wenigen Stunden, was die Ermittler von damals nicht schafften: Sie identifizieren Stefan Freund als den zweiten Täter. Der alte Krimi-Trick, die Spiegelung einer Tätowierung auf der Hand des Täters, muss mal wieder herhalten. Die Kripo kommt also den Mendts zuvor und nimmt Freund in Schutzhaft. Ab jetzt geht’s richtig los: Die Tochter von Kommissar Bootz wird entführt und es kommt zum Showdown. Und weil ein Showdown nicht reicht, gibt‘s zur Sicherheit noch einen hinterher.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie sich Täter und Kommissare im Stuttgarter Tatort „Preis des Lebens“ geschlagen haben.

Der Täter:

David Bredin gibt erneut den Nazi (der „Deutsch“ Schriftzug am Hals und die Zugehörigkeit zum entsprechenden Motorrad-Club lassen auf seine braune Gesinnung schließen): Tatortreiniger-Fans werden sich an seine Darstellung des rechtsradikalen Vollidioten „Bombe“ in der legendären Episode „Schottys Kampf“ erinnern. Im Stuttgarter Tatort sorgt die Umsetzung seiner Figur allerdings für Verwirrung. Jörg Albrecht wurde durch das Online-Video der Vergewaltigung identifiziert und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Er ist von Kindesbeinen an polizeibekannt und seine Akte liest sich wie eine Horrorgeschichte. Stutzig machen seine höflichen Umgangsformen. Pöbelt er anfangs noch den Gefängniswärter an, so scheint er später wie ausgewechselt und bittet die Fahrerin in geradestem Akademiker-Deutsch, ihn doch bitte am Eros-Center rauszulassen. Bild und Ton wollen bei dieser Figur einfach nicht zusammen passen.

Die Kommissare:

Das Ermittlerduo aus Schwaben spricht seit jeher nahezu dialektfrei. Möglicherweise soll das zur Verständlichkeit beitragen, es nimmt dem Stuttgarter Tatort allerdings die Authentizität. Allen übrigen Protagonisten (allen voran Jörg Albrecht –das Mitglied einer Reutlinger Motorrad-Bande spricht Hochdeutsch?!) widerfährt ein ähnliches Schicksal. Das ist einfach unglaubwürdig. Abgesehen von ihren sprachlichen Defiziten sind die zwei Kommissare durchwachsen sympathisch, was an vielen kleinen, blöden Episoden liegt (siehe unten: Kommissar Lannert an der Ampel). Der innere, moralische Kampf von Sebastian Bootz ist absehbar und die daraus hervorgehenden Streitereien mit Lannert ebenso.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, in welchen Punkten der Tatort „Preis des Lebens“ nicht überzeugen konnte.

Das war mies – Eine kleine Szenenauswahl:

Kommissar Lannert steht wartend an der Ampel und beobachtet zwei vorlaute Halbwüchsige. Spontan öffnet Lannert seinen Mantel, präsentiert die Knarre am Gürtel und die Jungs parieren. Wie pädagogisch wertvoll diese Aktion ist, möge jeder Zuschauer selbst entscheiden. Möglicherweise zu seiner Ehrenrettung wird ihm zu späterer Stunde der schießwütige SEK-Beamte Jürgen Carle zugeteilt. Dieser trägt selbstverständlich großkalibrige Patronen in der Jackentasche mit sich rum (natürlich, warum auch nicht? Journalisten haben immer Papier und Stift zur Hand, SEK-Beamte großkalibrige Patronen) und es kommt zu einem der bescheuertsten Dialoge in der „Tatort“-Geschichte: Carle wird instruiert, nicht den „finalen Rettungsschuss“ auf Mendt abzugeben, sondern höchstens auf Arme oder Beine zu zielen. Spontan kramt er die Riesenpatrone hervor: „Da ist die Hand dann weg.“ Lannert mustert das enorme Geschoss: „Wogegen setzen Sie das normalerweise ein?“ Carle: „Gegen Missverständnisse.“ Möglicherweise verwechseln die Autoren diesen Schwachsinn mit Humor. Thematisch gibt dieser „Tatort“ keinen Raum für Komik und dann sollte man es auch nicht mit der Brechstange versuchen.

Das war gar nicht so schlecht: Die Akustik

Der einzige akustische Fehlgriff von Johannes Kobilke und Stefan Ziethen ist der Madonna-Song in der ungemein albernen Frühstücks-Sequenz: Kommissar Lannert (Richy Müller) kocht Tee, Kollege Bootz (Felix Klare) geht mit dem 14-Jährigen Töchterchen im Schnee joggen und im Hinter- (eher Vor-)grund nervt Madonnas neuestes musikalisches Pop-Dance-Machwerk. Kobilke und Ziethen sind für die musikalische Untermalung des Tatorts zuständig und sorgen mit ihren Mitteln für permanente Anspannung beim Zuschauer (Zuhörer). Beste akustische Szene: Kommissar Lannert entdeckt die Zeitschaltuhr an der Lampe im Haus der Mendts. Das ist alte Filmkomponisten-Schule.

Fazit:

Die Geschichte ist absurd, konstruiert und vollkommen absehbar. Das eigentlich enorm spannende Thema „Wer kümmert sich um Angehörige, die ein derart abartiges Verbrechen verarbeiten müssen?“ wird angerissen und wieder fallen gelassen. Stattdessen wird das titelprägende Thema „Wer entscheidet, welches Leben welchen Wert hat?“ mit Selbstjustiz zusammengerührt und dem Zuschauer förmlich um die Ohren geschlagen. Hier passt vieles nicht zusammen. Diesem „Tatort“ fehlt es an Glaubwürdigkeit, Empathie und es werden äußerst fragliche Klischees bedient.