1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. TV-Kritik "Menschen bei Maischberger": TV-Kritik "Menschen bei Maischberger": Nur unglücklich oder schon krank?

TV-Kritik "Menschen bei Maischberger" TV-Kritik "Menschen bei Maischberger": Nur unglücklich oder schon krank?

Von Timo Lehmann 17.09.2014, 07:57
Sandra Maischberger lud zum Talk über Depressionen.
Sandra Maischberger lud zum Talk über Depressionen. dpa Lizenz

Halle/Saale - Ziemlich trübsinnig und ruhig ging es am späten Dienstagabend in der Talkshow „Menschen bei Maischberger“ zu. „Diagnose Depression: Bin ich nur unglücklich oder schon krank?“, fragte sich die siebenköpfige Runde. Zu Gast waren die Schauspielerin Dagmar Koller, der ehemalige Popstar der Deutschen Welle Hubert Kah, die Moderatorin Nova Meierhenrich und der Manager Daniel Göring, allesamt mal mehr mal weniger der Traurigkeit verfallen. Als überzeugende fachliche Stütze und für die Schnelldiagnose im Studio kamen die fernsehbekannte Psychoanalytikerin Angelika Kallwass und der klinische Leiter des Planck-Instituts für Psychiatrie, Professor Martin Keck, der Hubert Kah mit einer erfolgreichen Schocktherapie behandelt hat.

Den Einstieg machte Dagmar Koller. Die Sängerin verlor nach 36 gemeinsamen Jahren ihren Mann Helmut Zilk, den legendären Wiener Bürgermeister. Nach dem Tod 2008 verfiel die 75-Jährige der inneren Leere. „Das Wort Depression habe ich schon in meiner Kindheit aus dem Kopf gestrichen“, sagt sie, und trotzdem habe sie noch sechs Jahre nach dem Ereignis mit der Trauer zu kämpfen. Eine schwere Depression sah Angelika Kallwass aber nicht.

Nach der Bühne kommen Selbstzweifel

Eindeutiger wird es beim Patienten Hubert Kah. Der fiel in letzter Zeit durch einen schrägen Auftritt beim „Promi Big Brother“ auf. Viele Fragen zum Trashformat gab es von Maischberger nicht – gewollt ignoriert. In den 80ern feierte der Pop-Sänger Erfolge mit „Sternenhimmel“ und „Rosemarie“. Nach der großen Bühne kam der Selbstzweifel, von einen Tag auf den anderen. „Die Welt sah auf einmal anders aus“, beschreibt er sein Schlüsselereignis, als er morgens aufstand und seiner Frau erklärte, dass er unglücklich sei. Rund 20 Jahre kämpfte Kah mit der Krankheit. Die Hilfe kam erst mit den Stromstößen bei Professor Keck. Ein Therapiemittel, das gruselt, als Methode bei schweren Fällen aber anerkannt ist. Der Arzt nannte das den „Resetknopf“, der von Medikamenten und klassischer Psychotherapie begleitet werden müsse.

Erschütternd berichtete Schauspielerin Nova Meierhenrich aus ihrer Familiengeschichte. Ihr Vater verlor nach einer unverschuldeten Pleite sämtliche Lust und nahm sich am Ende das Leben. Auch sie selbst sei in einen Strudel geraten. „Ich bin den gleichen Weg gegangen.“ Nach außen hat die Moderatorin funktioniert, zuhause starrte sie stundenlang auf eine leere Wand. Ihr Vater rief sie an, sagte mehrfach vor dem Auflegen: „Tschüß, jetzt tu ich es.“ Kallwass und der Professor waren sich einig: Die Angehörigen eines Depressiven müssen sich früh Hilfe von außen holen.

Absolute Verzweiflung

Auch der 48-jährige Schweizer Kommunikationsmanager Daniel Göring wollte sich das Leben nehmen. Am Anfang stand die berufliche Überbelastung, es folgte das Burn-Out, gegen das er nichts unternahm. „Haben sie nicht an ihre Kinder gedacht?“, fragte Dagmar Koller fassungslos nach. Der Professor klärte auf, dass solche Kategorien bei einem Depressiven nicht mehr greifen. Der Kranke entscheide nicht aus freiem Willen, vielmehr gebe es keine Alternative zum Freitod – die absolute Verzweiflung.

Damit beantwortete sich zumindest ansatzweise die Frage der Sendung. Nicht jede depressive Phase endet im Suizid, die Anzeichen müssen aber früh genug ernst genommen und erkannt werden. Die Grenzen sind fließend. Inwiefern die Krankheit aus den Lebensereignissen oder biologischer Ursachen resultiert, konnte auch an diesem Abend nicht geklärt werden. Rund vier Millionen Deutsche sind betroffen, alle 40 Sekunden nimmt sich jemand auf der Welt das Leben. Das Thema ist hart, traurig, und die einstündige Sendung hätte versuchen können, eine komplexe Krankheit oberflächlich zu erklären. Stattdessen setzte man auf die Beschreibung von Einzelfällen, die für die Thematik sensibilisieren. Kein Durcheinandergerede, keine reflexhaften politischen Forderungen, vielmehr Ruhe und Menschlichkeit. Damit wurde die Sendung sowohl ihrem Titel als auch der Thematik gerecht.