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Tuvia Tenenbom Tuvia Tenenbom: "Kann sich die Menschheit auf die USA verlassen?"

Von Steffen Könau 03.11.2016, 17:52
Der Schriftsteller Tuvia Tenenbom
Der Schriftsteller Tuvia Tenenbom DPA

Halle (Saale) - Er hat in Hitlers Zimmer im Weimarer Hotel „Elephant“ genächtigt, wäre in Magdeburg beinahe vor Gericht gelandet, weil er ein paar Nazis einen recht korrekten deutschen Gruß zeigte und in seinem Geburtsland Israel ging er auf die Suche nach den Gründen für den Antisemitismus, der sich selbst am liebsten diplomatisch „Israelkritik“ nennt.

Tuvia Tenenbom schaut genauer hin

Tuvia Tenenbom ist ein Mann, der keine Angst kennt. Wo andere an den Tatsachen verzweifeln, schaut der Dramaturg, Informatiker und Mathematiker, der seit 20 Jahren das Jewish Theater in New York leitet, einfach noch genauer hin. Eher zufällig entstand während einer Deutschland-Rundfahrt vor fünf Jahren sein erstes Buch „Allein unter Deutschen“, eine Autopsie deutscher Seelenzustände, die den Sohn eines Rabbiners Feindschaften von rechts wie links einbrachte. Im Nachfolger „Allein unter Juden“ verdarb es sich Tenenbom dann auch noch mit Israels Freunden und seinen Kritikern. Blieb ihm also nur die Rückkehr in die Heimat. Und der Versuch, auf einer ausgedehnten Forschungsexpedition durch die USA herauszubekommen, was es auf sich hat mit dem mächtigsten Land der Welt, in dem sich die Bürger gerade anschicken, einen von zwei ungeliebten Kandidaten zu ihrem nächsten Präsidenten zu küren.

Tenenbom, ein voluminöser Typ mit breiter Brille und dünnem Blondhaar, der sich seinen Gesprächspartnern mal als Deutscher, mal als Jude und mal als New Yorker vorstellt, interessiert sich nicht für Oberflächen. Er will hinter die Dinge schauen, wissen, was die Menschen wirklich denken. Und warum. Vermeintlich harmlos plaudernd, kommt er so einem Amerika nahe, das in den Nachrichten ebensowenig stattfindet wie in länglichen Reisedokus.

Schattenseite des amerikanischen Traums

Warnt ihn jemand im reichen Philadelphia wohlwollend davor, in den schrecklichen Ortsteil Germantown zu gehen, „weil es da nicht sicher ist“, schreibt sich Tenenbom prompt eine Notiz: „Germantown besuchen“.

Was er dann dort vorfindet, ist die Schattenseite des amerikanischen Traums. Schwarze, die sich gegenseitig erschießen. Gangs, die tödliche Kriege miteinander führen. Drogen, Gewalt, Angst und Abwanderung. Aber keine Demos, wenn es Tote gibt, denn die, lernt der Autor, finden nur statt, wenn der Schütze ein weißer Polizist ist. Tenenbom, den seine Neugierde schon in Armenviertel überall auf der Welt geführt hat, sieht einen deutlichen Unterschied zwischen Flüchtlingslagern im Nahen Osten und diesem abgehängten, vergessenen Teil der USA im Jahre acht nach dem Amtsantritt Barack Obamas. „Hier“, schreibt er, „herrscht der Todesengel unbeschränkt.“

Das konservative Amerika zweifelt am Klimawandel

Doch das ist für Amerika kein Problem. Der arme, meist schwarze Teil der Bevölkerung lebt mit dieser Realität. Und der reiche, meist weiße Teil ignoriert sie nach Kräften. „Sie lieben das Bild, das sie von sich gezeichnet haben, als das eines teilnahmsvollen Völkchens“, urteilt der Reporter über seine Landsleute, die „keinen Finger rühren würden, ihren armen Nachbarn zu helfen“, sich aber stets „zutiefst um die Palästinenser sorgen“. Die sind ja weit weg. Und für deren Leid lässt sich günstigerweise Israel verantwortlich machen. Der Jude also, der zu Tuvia Tenenboms Erstaunen für einen großen Teil der fortschrittlich gesinnten Amerikaner überhaupt immer noch an vielem Schuld ist, was in der Welt verquer läuft. Der Reisende in Sachen Seelenlage in Gottes eigenem Land entwickelt unterwegs eine Frageroutine, die ihn zwischen Virginia, Texas und Florida kaum einmal im Stich lässt. Das konservative Amerika, gern als Tankwart, Öl-Unternehmer oder Cowboy verkleidet, zweifelt am Klimawandel und steht im Zweifel hinter Israel. Das aufgeklärte, demokratische Bürgertum dagegen, Professor, Computer-Nerd oder Biobauer, ist von der menschlichen Gesamtverantwortung für das Klima überzeugt. Und sieht für das anhaltende Dilemma im Nahen Osten nur einen Auslöser: Israel.

Tenenbom, als bekennender Raucher selbst so etwas wie ein Fossil eines längst untergegangenen Amerika, urteilt nicht über die Menschen, die aus ihren Herzen keine Mördergrube machen. Er zitiert sie allerdings gnadenlos.

Angst, missverstanden zu werden, als Mut verkleidet

Den Indianerhäuptling, der darauf besteht, dass Stammesmitglieder nun einmal „ein Zweiunddreißigstel indianischen Blutes“ in den Adern haben müssten. Die Frau, die ihren Mann nur „Partner“ nennt, um Homosexuelle nicht zu verstören. Die Mitarbeiterin des Henry-Ford-Museums, die vorgeben muss, nichts von den Nazi-Verstrickungen des Firmengründers zu wissen. Oder die vielen Offiziellen, die über Religion und Politik nicht reden wollen, weil das, wie sie sagen, ihr gutes Recht ist.

Die schönsten Widersprüche, eingebettet in einen Rassismus, den alle Seiten akzeptieren, indem sie ihn ignorieren. Tuvia Tenenbom hat das echte Amerika gesucht und ein Abbild gefunden, in dem sich die Angst, missverstanden zu werden, als Mut verkleidet, seine Meinung für sich zu behalten. Das Land der Freien und Tapferen belügt sich kollektiv, genügt sich in der Vorstellung, so zu sein, wie es zu sein glaubt. Wo es doch nach Tenenboms Beobachtungen in Wirklichkeit anders ist: Rassistisch, antisemitisch und scheinheilig.

Was folgt daraus? Wie geht es weiter. „Kann sich die Menschheit auf die USA verlassen?“, fragt Tuvia Tenenbom. Und antwortet natürlich gleich selbst: „Also ich würde es nicht tun“. (mz)

Tuvia Tenenbom: Allein unter Amerikanern. Suhrkamp Taschenbuch, 463 Seiten, 16,95 Euro

Auf Entdeckungstour durch Amerika: Tuvia Tenenbom
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Isi Tenenbom