Transit Transit: Sagenwelt in Schwermetall
Halle (Saale)/MZ. - Kein Hut, keine Gamaschen, kein Panik-Gürtel. Aber sonst ist alles da. Die Menge tobt, als der Mann auf der Bühne die ersten Zeilen von "Ich fahr' an die Küste" ins Mikrofon nölt. "Udo, Udo", jubelt die proppevolle Messehalle auf der halleschen Peißnitz-Insel dem Sänger vorn auf der Bühne zu, der Egon heißt. Ein paar Tische gehen zu Bruch, eine Scheibe klirrt. Jetzt spielt die Band auch noch "Andrea Doria". Ekstase! Andrea Doria beim "Jugendtreff der FDJ"!
Es ist das Jahr 1979 und Egon Linde, der wirklich so heißt, ist der Udo Lindenberg der DDR: Der Mann aus Mecklenburg heißt nicht nur so ähnlich, er sieht nicht nur so aus, er klingt nicht nur so, er schreibt sogar Lieder wie "Ein Mädchen wie Du für mich warst" und "Heinrich der Kneiper", die manchmal mehr Lindenberg sind als dessen eigenen Stücke.
Eine Kopie mit Ambitionen
Ein Glücksfall für die Republik. Die Band Transit, Anfang der 70er Jahre gegründet, fährt auf dem Udo-Ticket schnurstracks in die DDR-Hitparaden. "Die Lindenberg-Masche, die wollen wir von euch haben!", bekommt Egon Linde von den staatlichen Kulturwächtern gesagt. Die Fans sehen es genauso. Wenn schon das Original nicht auftreten darf, dann wenigstens eine originale Kopie - allerdings mit Ambitionen. Linde und seinen musikalischen Partner Siegfried Scholz drängt es zu Höherem, als im Udo-Duktus "Disco Didi" zu singen. Die Popularität im Land öffnet Türen. Mit der "Bernsteinhexe" und dem "Hildebrandslied" gelingen zwei Nummer 1-Hits, die nicht den großen Udo, sondern mecklenburgische Sagen beleihen. Der Dramatiker Peter Hacks bietet sich an, für eine "Störtebeker"-Rockoper Texte beizusteuern. Das Album "Bernsteinhexe", halb noch im Lindenberg-Idiom getextet, halb schon im Transit-Märchenland aus Meer, Sand und Wind versunken, läuft dem zeitgleich erschienenen Lindenberg-Album "Der Detektiv" als Partysound den Rang ab.
Es hätte so weitergehen können. Doch dann hat Lindenberg, mit dem das Ost-Pendant nie Kontakt hatte, diese fantastische Idee mit dem "Sonderzug nach Pankow". Plötzlich dreht sich der Wind. Transit, so genannt nicht aus politischen Gründen, sondern als Referenz an die US-Band Chicago Transit Authority, fallen mit dem Vorbild in Ungnade. Konzerte werden ohne Begründung abgesagt, es gibt keine Einladungen mehr von der FDJ. Als Lindenbergs DDR-Tournee nach seinem aus Stasi-Sicht schiefgegangenen Auftritt im Palast der Republik abgesagt wird, stoppt der staatliche Plattenmonopolist Amiga auch die Veröffentlichung des "Störtebeker"-Albums.
Ein Kollateralschaden des politischen Gerangels auf höchste Ebene, von dem die Musiker aus Mecklenburg einfach weggewischt werden. Linde und Scholz spielen notgedrungen in Kneipen, irgendwann auch das nicht mehr. Der Lindenberg der DDR produziert nun Musik für Theater und Ballett, später verkauft er Wintergärten und macht seinen Segelschein.
"Tja, das waren 20 Jahre ohne Musik", sagt er heute, zurückgekehrt von langen Segelreisen bis in den Pazifik. Reisen, die wieder Lust auf die Band gemacht, aber auch Spuren hinterlassen haben. "Übers Meer" heißt das Album, auf dem Egon Linde und Siegfried Scholz da weitermachen, wo vor einem Vierteljahrhundert Schluss war.
Peter Hacks und Riesenwellen
Mit "Rück- und Ausblick" findet sich da noch einmal ein vertonter Hacks-Text und der letzte DDR-Hit "Sturmflut" wurde neu eingespielt, ungleich druckvoller diesmal. Die übrigen Nummern, aufgenommen nach dem überraschenden Comeback-Konzert im Herbst in Schöneiche bei Berlin, segeln als Sagen auf Schwermetallriffs und Balladen im Märchenmantel vorüber. Statt Lindenbergscher Lakonie gibt es Himmel und Meer, die ineinanderfließen, "schaumgekrönte Riesen" und die Romantik vom "Winter an der See": "Die Fischer bleiben an Land / neblig, kalt und düster liegt einsam der Strand".
Der Schatten des echten Udo, dem Egon Linde und seine Band den Raketenstart ihrer Karriere ebenso verdanken wie deren abruptes Ende, er ist verschwunden. Zwar klingt die Stimme des immer noch als Skipper arbeitenden Gitarristen bis heute leicht nach Lindenberg. Allerdings nach einem, der mit Kamillentee gegurgelt und Singen gelernt hat.
Transit live: Samstag, 22. Januar, Neu Helgoland, Berlin-Müggelheim