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Theater Magdeburg Theater Magdeburg: Der ganze «Faust» ist ein Stück für heute

Von JOACHIM LANGE 02.10.2011, 15:46

MAGDEBURG/MZ. - Ein Theater, das Goethes "Faust I" auf den Spielplan setzt, hat ein Zuschauer-Kontingent bildungsbeflissener Zuschauer im Visier. Wer aber - wie Martin Nimz im Schauspiel Magdeburg - "Faust I und II" stemmt, dem geht es um Welterklärung und Selbstbehauptung. Goethe hat hier ja genau die Fragwürdigkeiten des bürgerlichen Zeitalters verhandelt, er hat die Ambitionen des modernen Menschen nicht nur genial voraus geahnt, sondern sogar den Preis dafür benannt. Schon deshalb ist der ganze Faust ein Stück für Heute.

Wenn Mephisto am Kaiserhof einer ratlosen politischen Führungsklasse die Erfindung des Papiergeldes wie einen teuflischen Rettungsschirm auf Pump offeriert, dann sieht der Kaiser (Iris Albrecht) der amtierenden Kanzlerin verteufelt ähnlich. Und wenn sich Faust im Kriegseinsatz seinen Grundbucheintrag für den Küstenstreifen "verdient", dann wirkt auch das eingeblendete Bild aus dem Weißen Haus, das den Schrecken der Supermacht-Führer bei der Tötung von Bin Laden zeigt, triftig.

Aber Nimz' Vergegenwärtigung des Faust-Stoffes ist nicht in erster Linie solchen Bildern zu danken, sondern einer lustvoll neugierigen Haltung zum Text, die insbesondere das geschäfts-partnerschaftlichen Duo aus Faust (Jonas Hien) und Mephisto (Axel Strothmann) betont spielerisch entwickeln.

Sie kommen alle daher wie aus der Gegenwart, vertrauen den Versen, finden einen Sprachzugang, der die historische Distanz erstaunlich schrumpfen lässt. Bernd Schneiders nüchterner Bühnenkasten muss da nur sparsam ergänzt werden: Ein Sofa für die Krisensitzung am Kaiserhof, hinten ein paar bewegliche Schiebeelemente, über die dann auch die wissenschaftliche Homunculus-Formel flimmert. Eine absenkbare Deckenplatte taugt zum strategischen Sandkasten fürs Kriegsführen im Großen genauso wie zur Steilwand für die arkadische Illusion vom Glück mit Helena, an der dann aber doch nur Euphorion zu Tode stürzt.

Die Wut-Greise Philemon und Baucis schließlich ketten sich am Aluminium-Gerüst an, als ginge es um Bahnhofsbau oder Castor-Transport. Nimz bleibt mit seiner knapp dreistündigen Reise durch die Große Welt bei der spannenden Verdichtung, die er schon im "Faust I" begonnen hat. Das alles ist beglückend heutig und kommt ohne aufgeschlagenes Lexikon aus.

Der Magdeburger Doppel-Faust ist aber auch eine überzeugende Selbstbehauptung des Theaters. Beim Schlagabtausch um die Finanzierung des Hauses haben die Landes-Kassenwarte nämlich ein Tabu gebrochen und die Vokabeln "Spartenschließung" und "Bespieltheater" in die Debatte geworfen. Die politische Führung der Stadt wehrt sich empört. Dass eine Landeshauptstadt in Deutschland ohne eigenes Schauspiel nicht vorstellbar sei, lässt sich als Argument allerdings nicht mehr anbringen. Den Sündenfall lieferte Erfurt. Da steht zwar über dem neu erbauten Haus noch immer "Theater" - drin ist aber nur noch eine Oper.

Im Programmheft wird zitiert: "Theater ist die tätige Reflexion des Menschen über sich selbst." Das stammt von einem Mann, der als Finanzminister einen Staatsbankrott verhinderte. Ohne ein Theater dicht zu machen. Der Mann hieß Johann Wolfgang von Goethe.

Nächste Vorstellungen: 21. Oktober ("Faust I") und 22. Oktober ("Faust II"), jeweils um 19.30 Uhr