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Theater Erfurt Theater Erfurt: Autorität im Teufelskleid

Von Johannes Killyen 29.12.2002, 14:23

Erfurt/MZ. - In einem Komponistenzoo wäre der Amerikaner Stanley Walden vermutlich das Chamäleon - ein erfolgreiches, das immer da ist und doch irgendwie unsichtbar. Walden, Jahrgang 1932, wechselt die Stoffe und Stile wie andere Menschen ihre Hemden.

Er hat den Broadway mit der Sex-Revue "Oh Calcutta" (1969) schockiert, hat Kafka und Brecht vertont, Sinfonisches geschrieben und Jazziges. Jetzt ist er bei Bach angekommen, genauer gesagt bei "Bachs letzter Oper", einem Abend füllenden Werk, das im Erfurter Kuppeltheater uraufgeführt wurde.

Waldens dänischer Librettist Jess Örnsbo schreibt, wohl aus Angst vor Missverständnissen, seinen Anspruch schon im Titel fest: Ebenso wenig wie Bach eine Oper komponiert hat, so wenig sollte auch die Opernhandlung an der historischen Realität gemessen werden. Also darf der Meister hier den Arbeitskollegen Händel treffen (was nie geschehen ist), er feiert nächtliche Partys mit Opernfiguren, die dem Notenschrank des Bruders entsteigen und erlebt auch sonst allerhand Fantastisches. Der Fabel zugrunde - und das ist Hauptproblem dieser Oper - liegt dennoch das Leben des Thomaskantors. Aus ihm eine bühnentaugliche Handlung zu gewinnen ist Jess Örnsbo nur zum Teil gelungen. Zu sehr ist seine Vorlage überfrachtete Nummernrevue, die auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik gefährlich strauchelt. Und zu wenig eignet sich Bachs Konflikt mit den Autoritäten - die hier allesamt in Teufelskostüm auftreten und aussehen wie geliftete Grusel-Orks aus Tolkiens "Herr der Ringe" - als roter Faden. Oft basiert das Bühnengeschehen auf Vorwissen anstatt für sich selbst zu sprechen.

Vermutlich könnte eine Inszenierung, die den Episodencharakter des Werks betont und sich ästhetisch überzeugend des Fantastischen annimmt, viele dieser Mängel auffangen. Doch Regisseur Flemming Weiss Andersen wächst manchmal die Handlung über den Kopf. Dann bringt er sein Personal auf der kleinen Bühne des Kuppeltheaters nicht zur Ordnung und misstraut gleichzeitig der Tragkraft seiner Protagonisten so sehr, dass er um Bach herum omnipräsente Ballett-Musen in rotem Tütü scharwenzeln lässt.

Interessanter Weise kommt das Stück immer dann zu sich, wenn Stanley Walden seinen zersplitterten Tonsatz verlässt und Bach selbst das Wort erteilt. Mit der rührend schlichten Klage "Schlummert ein" (aus der Kantate 82), die Chor und Hauptdarsteller zum Tode von Bachs erster Frau Maria Barbara intonieren, kehrt kurz vor der Pause erstmals Mal Ruhe ein. Das Publikum hat endlich Zeit, sich das Schicksal des Meisters, der hier stets in junger und alter Ausführung auftritt (Susanne Serfling und Peter Dittmann), zu Herzen gehen zu lassen.

Die Überraschung des Abends ist zweifellos Stanley Waldens Musik. Sie ist nicht in einer leicht verdaulichen Musical-Sprache verfasst, sondern setzt sich aus knochenharten expressionistischen Tonsplittern zusammen, die Karl Prokopetz und die Erfurter Philharmoniker präzise zu setzen wissen. Wenn die Akkorde groß und tragisch aufsteigen scheinen sie der einsamen Höhe von Alban Bergs "Wozzeck" zustreben zu wollen.

Das souveräne Solisten- und Chorensemble schickt Walden mit seinen Gesangsmelodien auf eine halsbrecherische Berg- und Talfahrt, bei der freilich die Textverständlichkeit auf der Strecke bleiben muss. Und mit höchstem Geschick erweist er Bach seine Reverenz, entwickelt aus der rhythmischen Energie einer Cello-Suite ein grandioses Operntableau. Nur wenn Stanley Walden den Schlagzeuger im Graben ein jaulendes Lasso schwingen lässt - dann schimmert eine andere Identität dieses Chamäleons durch.