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Theater Theater: Ein passionierter Anfang

Von Andreas Hillger 15.05.2008, 12:47
Der künftige Intendant des Schauspiels Leipzig, Sebastian Hartmann. Der 1968 in Leipzig geborene Regisseur übernimmt 2008/09 die Intendanz von Wolfgang Engel, der 65 Jahre alt wird und die Bühne nach 13-jähriger Intendanz verlässt. (Foto: dpa)
Der künftige Intendant des Schauspiels Leipzig, Sebastian Hartmann. Der 1968 in Leipzig geborene Regisseur übernimmt 2008/09 die Intendanz von Wolfgang Engel, der 65 Jahre alt wird und die Bühne nach 13-jähriger Intendanz verlässt. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Leipzig/MZ. - Die lokalen Zweifelam neuen, 1968 in Leipzig geborenen und inzwischenan allen deutschsprachigen Schauspiel-Hochburgenerprobten Intendanten sollten offenbar vonvornherein zerstreut werden. Und Hartmannselbst gab sich konzentriert, freundlich,der Stadt zugewandt.

Andererseits: "Warum sollten wir beginnenund sagen ,Hoffentlich kriegt es keiner mit?‘".Diese vom neuen Hausherrn eher ironisch beschworeneGefahr dürfte angesichts seines Spielplanskaum bestehen. Bereits der Auftakt mit einer"Matthäuspassion" am 18. September ist Programm:Sebastian Hartmann wird Texte von Ingmar Bergmanund Henrik Ibsen mit der LeidensgeschichteChristi aus dem Neuen Testament konfrontieren,als Voraufführung ist das große Projekt bereitsfünf Tage zuvor beim Ibsen-Festival in Oslozu erleben. Eine Woche später präsentiertHausregisseurin Jorinde Dröse ihre Lesartvon Naomi Kleins Sachbuch "Schock-Strategie",Hartmann huldigt der neuen Lust am Leib mitder Aktion "Meine wichtigsten Körperfunktionen"und nimmt seine Hamburger "Publikumsbeschimpfung"sowie seinen Magdeburger "Macbeth" wiederauf. Und mit Jürgen Kruses "Don Juan (LikeA Rolling Stone)" dürfte eine jener musikalischgrundierten Arbeiten zu erleben sein, vondenen es künftig in Leipzig mehr geben soll.

So wird Rainald Grebe im Schauspielhaus, daskünftig wieder unter seinem ursprünglichenNamen "Centraltheater" firmiert, ein Musicalmit dem Arbeitstitel "Alle reden vom Wetter"zur Uraufführung bringen. Und Christoph Gurk,der an der Berliner Volksbühne eine weithinbeachtete Konzertreihe konzipiert hat, sollals Musikkurator das Leitungsteam verstärken.

Überhaupt, die Volksbühne: Natürlich kannund will Sebastian Hartmann seine Nähe zumTheater des Frank Castorf nicht verleugnen,neben dem Prinzipal selbst sind auch BerlinerProtagonisten wie Christoph Schlingensiefund Sebastian Baumgarten angefragt. Doch währenddiese Stars ihren Kalender mit der Kürze derVorbereitungszeit noch nicht synchronisierenkonnten, wird René Pollesch mit "Der Kandidat.Sie leben" bereits im Auftaktprogramm vertretensein. Zudem ist er als Teilnehmer beim Projekt"Zentralhotel" gemeldet, das in der zweitenSpielstätte "Scala" laufen soll.

An diesem Schauplatz, der bislang noch als"Neue Szene" firmiert, wird die radikalsteund riskanteste Änderung stattfinden: Hartmannsetzt hier auf acht Darsteller und drei jungeRegisseure, die in verschiedenen Veranstaltungsformendie Reaktionsschnelligkeit des "vom Massenmediumzum Randphänomen" gewandelten Theaters erprobenund damit auch neue Publikumsschichten gewinnensollen. Der klassische Repertoire-Betriebist damit abgeschafft, für die Planbarkeitdes Theaterabends wird auf das Internet verwiesen.

Dass Sebastian Hartmann seine Situation realistischeinschätzt, zeigt nicht allein das kulturpolitischkorrekte Versprechen steigender Vorstellungs-und Einnahmezahlen, mit dem er auch die bislangvagen Positionen der zweiten Spielzeithälftebegründet: "Wir wollen erst herausfinden,was der Leipziger wirklich sehen will." Auchsein Hinweis auf nötige Investitionen undauf die traurigen Augen des Oberbürgermeistersbei Finanzgesprächen dürfte keineswegs kokettgemeint gewesen sein - obwohl Hartmann künftigüber 30 Schauspieler verfügt, von denen erlediglich fünf aus dem Ensemble von WolfgangEngel übernimmt.

Über seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeitmacht sich Hartmann, dessen Arbeiten immerwieder für Debatten sorgen, ebenfalls keineIllusionen: "Ich habe nicht nur Freunde, sondernauch Feinde, die mich interessieren." Sievor allem wird er überzeugen müssen.