Theater Theater: Des Schusters neue Kleider
Leipzig/MZ. - Es ist dieser berühmte Satz aus den "Bremer Stadtmusikanten", mit dem Zuckmayer seinem "Hauptmann von Köpenick" eine Esels-Brücke in die Zukunft baut. Kurz vor Ablauf der Jubiläums-Frist, die sich aus dem 100. Jahrestag der preußischen Eulenspiegelei errechnete, fällt er nun auch auf der Bühne des Schauspiels Leipzig. Hier aber hält Regisseur Tilman Gersch seinem Publikum die Geschichte so dicht vor Augen, dass die Konturen verschwimmen - und dass am Ende die bleierne Müdigkeit über das Mitleid triumphiert.
Ariane Salzbrunns Bühnenbild gelingt die Verschachtelung der Leere: Licht-Leisten markieren die Kubatur jenes Pappkartons, in dessen Rückwand kleine Videofenster geschnitten sind. Irgendwann werden Voigt und sein Kumpel Kallenberg in kleineren Kisten ihre Notunterkunft finden, ansonsten wird der kalte Metallboden hier wie von Geisterhand möbliert. Auch die Parade der Flachfiguren klappt wie am Schnürchen: Blondierte Kioskbesitzer mit russischem Akzent und Huren mit aufblasbaren Brüsten, tuntige Herrenschneider und selbstverliebte Beamte ziehen vorbei, als habe die Inszenierung den Setzkasten der hauptstädtischen Klischee-Typen geplündert. Nur den echten Hauptmann, dessen Niedergang Voigts Aufstieg erst ermöglicht, sucht man vergebens.
Dabei ist Torben Kessler in seiner kraftstrotzenden Springlebendigkeit eigentlich unübersehbar. Seine Dienstkleidung aber fordert den militärischen Respekt nicht ein - und verurteilt so die Geschichte zum Scheitern. Falls Gersch den Beweis führen wollte, dass eine Köpenickiade im zivilen Nachwende-Deutschland nicht mehr möglich wäre, so ist dies gelungen. Dass der Regisseur damit aber eine Platitüde inszeniert, können auch seine vielen Einfälle nicht verdecken.
Kabarettistische Etüden über Tunnel-Bauten und Bedarfsgemeinschaften mögen als lokaler Silvesterspaß ihre Berechtigung haben, dem Thema des Stückes sind sie weder angemessen noch gewachsen. Auch die artistischen Aufgeregtheiten, zu denen die Inszenierung ihr Ensemble animiert, verpuffen wie schale Scherze einer humorlosen Spaßgesellschaft. Alles zielt hier auf akute Wirkung, die Pointe ist wichtiger als der Witz.
Und Voigt? Der wirkt wie ein Spielverderber mit Pudelmütze. Berndt Stübner geht durch die Szene und durch seine Rolle, als wüsste er es besser - und dürfe es nicht zeigen. Das schiefe, unsichere Lächeln entschuldigt nicht nur die Figur, sondern offenbar auch ihren Darsteller. Nur in jenen Augenblicken, in denen ihm Carolin Conrad als Engel Seifenblasen über die Schulter bläst, kommt mit dieser ortlos traurigen Gestalt auch ihre Geschichte zur Ruhe - bis zum nächsten Lärm.
Der Vergleich mit der wunderbar melancholischen Inszenierung, die dem selben Text auf der Kulturinsel Halle zuteil wurde, fällt eindeutig aus: Weil man in Leipzig nicht mehr an Märchen glaubt, steckt man den Schuster in neue Kleider. Am Ende aber ist er - ganz wie im Märchen - nackt.
Nächste Vorstellung: 13. Januar, 19.30 Uhr