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Theater Theater: Das Entsetzen vor der unbezwingbaren Wahrheit

Von ANDREAS MONTAG 20.11.2009, 18:14

DRESDEN/MZ. - In der Mitte, übergroß, ein weißes Brautkleid. So beginnt das Spiel um "Oedipus Rex" von Sophokles, die Tragödie vom König Ödipus, der den Psychoanalytikern das große Thema vom Sohn beschert hat, der seine Mutter begehrt. Vom Mann, der in dieser Sehnsucht unfrei bleibt für sich selbst und seine Bindungen.

Nun hat die Choreographin und Regisseurin Constanza Macra, in Berlin lebende Argentinierin, mit ihrer Compagnie Dorky Park diese Geschichte nach der Fassung des Opern-Oratoriums "Oedipus Rex" von Igor Strawinsky und Jean Cocteau auf die Bühne gebracht. Nach der Uraufführung am Donnerstag im nahe Dresden gelegenen Festspielhaus Hellerau gab es langen. starken Applaus und Bravorufe dafür. Der galt, ganz zu Recht, dem Konzept und einer geschlossenen Ensembleleistung, an der neben den Tänzern und Gesangssolisten auch die Dresdner Philharmonie unter Max Renne und der Dresdner Kammerchor (Leitung: Jörg Genslen) ebenso großen Anteil hatten wie das grandiose, schwebende Bühnenbild von Chiharu Shota.

Schuld der Götter

Gezeigt wird die Tragödie des Ödipus - der als Kind von seinen Eltern, dem König Laios und dessen Frau Iokaste, wegen eines Fluchs in der Wildnis ausgesetzt war - als verzweifelte Suche eines Mannes, der schuldig werden muss, ohne Schuld zu tragen. Laios war es, der durch die Vergewaltigung und Ermordung eines Knaben diese Schuld auf sich geladen hatte. Nach dem Willen der Götter soll Laios durch die Hand seines Sohnes sterben, der seine Mutter zur Frau nehmen und ihr beiwohnen soll.

Was nach dem Solo einer Frau, die sich, stürzend oft und taumelnd, erhebt und den Raum der Bühne in Besitz nimmt, spielerisch beginnt, wird bald bitterer Ernst sein - und doch die Leichtigkeit behalten, die dem Tanz Größe und dem Publikum Freiheit zum Denken schenkt. Ironisch geht Macras eingangs mit den Erwartungen der Zuschauer um, es wird an ihre Bildung appelliert, indem der Sprecher sie an die antike Geschichte erinnert und hustend abgeht. Diesen Husten nimmt der beidseits der Bühne platzierte Chor auf und steigert ihn ins Komisch-Groteske und Schreckliche. Denn schließlich grassiert die Pest in Theben.

Nun treten die Tänzer aus dem Chor, die Szene ist eröffnet. Kraftvoll und ausdrucksstark, liebend und begehrend, aggressiv und voller Hingabe wird nun die Geschichte des verzweifelten, unschuldig schuldigen Ödipus auch als die Geschichte von Frauen und Männern getanzt - niemals aber ideologisierend, immer der Sehnsucht und dem Schrecken zugewandt, den Menschen erfahren und manchmal nicht mehr tragen können.

Ödipus blendet sich

Am Ende sinkt der Himmel knarrend herab, ein Geräusch, das die Tragödie noch grundiert und eine Art Kontrapunkt zur großartigen, leidenschaftlich gespielten Musik Strawinskys setzt. Iokaste hat sich erhängt, Ödipus blendet sich selbst, weil er das Grauen, das ihm geschehen ist und alles Folgende zwangsläufig nach sich zog, nicht ertragen kann. So irrt er davon durch den Märchenwald aus Möbeln, die Szene wirkt nun, bevor das Licht erlischt, wie ein Trödelladen voller Schreckensgeschichten, die bis in die Gegenwart reichen. Und so ist es ja auch.

Nächste Aufführung Samstag um 20 Uhr, Festspielhaus Hellerau