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Thalheimers «Ödipus/Antigone» umjubelt

06.10.2009, 09:45

Frankfurt/Main/dpa. - Blutgesudel, magisch-radikale Klassiker-Reduktion aufs Wesentliche und sich emotional verausgabende Schauspieler: Michael Thalheimers Sophokles-Doppelstück «Ödipus/Antigone», das am Frankfurter Schauspiel Premiere feierte, ist ein klassischer Thalheimer.

Die rund 800 Zuschauer im ausverkauften Großen Haus umjubelten die eindringliche etwa vierstündige Inszenierung des antikes Tragödien-Stoffes. Für das zuletzt nicht immer verwöhnte Frankfurter Theaterpublikum war es ein verheißungsvoller Auftakt in die neue Spielzeit. Und für Oliver Reese (45), der schon am Deutschen Theater in Berlin mit Thalheimer zusammenarbeitete, ein vielversprechender Beginn seiner Intendanz.

Großartig ist das Schauspiel der beiden Hauptdarsteller Constanze Becker und Marc Oliver Schulze. Becker, von der Zeitschrift «Theater heute» im vergangenen Jahr zur «Schauspielerin des Jahres» gekürt, fasziniert in ihrer brutal-nüchternen Art in den Rollen der Ödipus-Mutter und -Geliebten Iokaste und der Antigone. Etwa dann, wenn Iokaste realisiert, dass Ödipus ihr Sohn und der Mörder seines Vaters ist. Dann greift sie sich stumm leidend in den Schritt und an die Brust - und fesselt mit ihrer Verzweiflung den ganzen Saal.

Schulze durchleidet als Ödipus und Kreon mit einer emotionalen Zerrissenheit sämtliche Qualen, die ihm das Schicksal aufbürdet. Sein Höhepunkt ist die Schlussszene in «Ödipus», nachdem er erkannt, seine Mutter sich umgebracht und er sich selbst die Augen ausgestochen hat. Zunächst trägt er noch eine braune Papiertüte mit Mund- und Augenschlitzen auf dem Kopf - wie alle Darsteller im ersten Stück - zieht sie dann aber ab. Grauenhaft blutverschmiert sind Gesicht und Oberkörper, fett schwarz geschminkt die Augenhöhlen.

Die Tüten auf den Köpfen, als Analogie zu Masken im antiken Theater gedacht, die den Rollen auch ein bisschen das Individuelle nehmen sollen, fehlen in der «Antigone»-Inszenierung. Dafür tauchen andere typische Thalheimer-Elemente auf: So beginnt das Stück mit den Schwestern Ismene und Antigone in der Bühnenmitte, minutenlang leer ins Publikum schauend - beide wortlos. Auch die Sprache ist variantenreicher als im «Ödipus», etwa, wenn der Bote im temporeichen Stakkato-Stil - nicht ohne Komik und Publikumslacher - seine Mitteilungen verkündet.

Dem gefürchtet riesigen Bühnenraum des Großen Hauses wird Thalheimer gerecht, indem er einen mehr als 30 Darsteller starken Chor als das Volk Thebens auf die Bühne stellt. Faszinierend brachial in seiner Reduktion ist das Bühnenbild Olaf Altmanns, der sich mit Thalheimer wie schon oft prächtig ergänzt: Die eigentliche Bühne ist mit zwei riesigen schwarzen horizontalen Schiebe-Elementen fast die gesamt Zeit verschlossen. Gespielt wird vor allem auf der etwa einen Meter breiten Bühnenkante. In «Antigone» sind die beiden Elemente in der Mitte geöffnet. In einiger Höhe steht dort aneinandergereiht der pompöse Chor in gleißendem Licht - eine gigantische Bühnenästhetik.

www.schauspielfrankfurt.de