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"Tatort"-Kritik "Ihr werdet gerichtet" "Tatort"-Kritik "Ihr werdet gerichtet": Zu einfaches Täterprofil für "Tech-Nick" Antoine Monot Jr.

Von Julia Floß 06.09.2015, 18:40

Der Fall:

Köln - In „Ihr werdet gerichtet“ geht ein Heckenschütze auf Rachefeldzug.  Zwei Autohändler werden auf offener Straße per Kopfschuss getötet. Vom Täter fehlt jede Spur. Die Schweizer Ermittler Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) tippen anfänglich auf einen Auftragsmord aus dem Drogenmilieu. Dieser Verdacht hält nicht länge: die beiden Opfer prügelten einst einen jungen Pressefotografen in den Rollstuhl – ein ideales Motiv. Am nächsten Tag wird ein Treuhänder erschossen. Die Tat trägt die gleiche Handschrift: Kopfschuss, handgefertigte Munition, keine Spuren vom Täter. Der Treuhänder tötete bei  einem gewissenlosen Überholmanöver eine Mutter und ihr Kind und wurde bisher ebenfalls nicht zur Rechenschaft gezogen. Ist der Heckenschütze ein Auftragsmörder oder ein selbsternannter Rächer? Wer steht noch auf der Liste des Killers und wann wird er wieder zuschlagen?

Die Auflösung:

Der Schütze ist im „normalen Leben“ Kfz-Mechaniker und fürsorglicher Ehemann mit einer Schwäche für Gebäck.  Ausgerechnet der herzige Teddybär mit der Ausstrahlung eines geduldigen Sonderpädagogen, Antoine Monot Jr., spielt den Killer Simon Amstad. Seine Frau wurde von ihrem ehemaligen Chef vergewaltigt und ist seitdem schwer depressiv. Amstad versucht händeringend das Leid seiner Frau zu lindern und scheitert kläglich. Der Täter wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Diese Ungerechtigkeit führt den hilflosen Ehemann zur Selbstjustiz. Er wird zum Killer und jagt diejenigen, die bisher durch die Mühlen des Rechtssystems gefallen sind: Mörder, Vergewaltiger und Schläger.

Amstad verliert zunehmend die Kontrolle. Er tötet zu erst einen engen Vertrauten und anschließend den Zwillingsbruder eines Vergewaltigers. Die Fahndung verdichtet sich, alles deutet auf ihn. Seine Frau erwacht aus ihrer Trance als sie erkennt, dass Amstad der Heckenschütze ist. Sie sterben Arm in Arm durch einen Kopfschuss.

Die Kommissare:

Reto Flückiger und Liz Ritschard ermitteln. Kein Techtelmechtel, keine Exliebhaber in der Spurensicherung, keine Scheidung, keine kiffenden Angehörigen – Sie ermitteln einfach. Wie wunderbar.  Ein Fall der beiden merklich an die Substanz geht. Erst kämpfen sie mit ihrem Mageninhalt (nochmal ein herzliches Dankeschön an die Maskenbildner und ihre überzeugenden Einschusswunden) und später mit ihrem Gewissen. Die Fälle der potenziellen weiteren Opfer sind ihnen bekannt. Reto Flückinger fand die junge Frau, die sich nach einer Vergewaltigung das Leben nahm und nun muss er den Täter schützen und ihn sogar um Hilfe bitten. Die beiden Ermittler sind ein angenehm ernstes Duo, allerdings braucht Frau Ritschard auffallend häufig frische Luft.

Der Täter:

Schöne Idee, da wäre allerdings mehr drin gewesen. Den höchst professionellen Heckenschützen mit dem knuffeligsten Kuschelbär-Darsteller dieser Schauspieler-Generation und Saturn-Werbefigur „Tech-Nick“ zu besetzen, ist vom Prinzip her großartig - Keine Schablone, kein Klischee. Da hört die Lobhudelei allerdings schon auf.  Das Täterprofil ist leider sehr einfach gestrickt: Der Profiler (Fallanalytiker) von Interpol wird für sage und schreibe zwei Minuten Präsentation eingeflogen, wedelt lässig mit „Michael  Kohlhaas“ von Kleist und zack, ist der Drops gelutscht:  Dem Täter wurde Unrecht getan, jetzt dreht er durch und mutiert zum Racheengel. Da hätte man sich als Zuschauer viel mehr Tiefe gewünscht.

Das war gut:

Florian Froschmayer inszeniert die Tragödie um  Selbstjustiz  und Misstrauen in das Rechtssystem wunderbar düster. Er setzt auf Licht, Soundtrack, schnelle Schnitte und gute Darsteller. Die Geschichte ist nicht völlig an den Haaren herbeigezogen und das Thema spannend. Soweit so gut.

Das könnte besser sein:

Bitte weniger Gehirnmasse! Die Kamera hält auf sämtliche Einschusswunden und herumfliegende Schädelteile, immer wieder – das braucht kein Mensch. Diese wertvolle Sendezeit hätte man in das dürftige Täterprofil stecken können. Woher hat dieser Gipfeli-essende Kfz-Mechaniker eigentlich seine nahezu militärische Ausbildung, geschweige denn die Ausrüstung? Warum führt er die ersten drei Morde mit erschreckender Perfektion aus (Tagesablauf der Opfer, Fluchtweg, geheime Schießscharte im Mini-Van, falsche Nummernschilder) und vergisst dann, ausgerechnet bei einer so signifikanten Beschäftigung wie dem Beseitigen von Leichen oder der Reining der Waffe, die dusselige Werkstatt-Tür hinter sich abzuschließen?

Vor allem aber  hätte man gerne mehr über die Beziehung der Amstads erfahren.

Fazit:

Eine gute Geschichte mit soliden Darstellern. Sarah Hostettler ist verstörend gut als Karin Amstad. Antoine Monot jr. schlägt sich tapfer in seiner schwierigen Rolle. Thema und Stimmung passen hervorragend. Es will nur einfach nicht spannend werden. Dennoch ein gelungener Auftakt zur neuen „Tatort“-Saison.