"Tatort"-Kritik "Tatort"-Kritik: Der Täter die Drohne

Worum ging es?
Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) wechseln als erste Tatort-Ermittler vom Landeskriminalamt zur Bundespolizei und werden mit einem heftigen ersten Fall betraut. Zuerst stirbt Falkes Gelegenheits-Affäre und Ex-Kollegin bei einer Explosion. Gleich darauf landet ein Container mit afrikanischen Flüchtlingen im Hafen. Das Justizsystem reagiert auf die ungewollte Fracht reflexartig mit Eiseskälte. „Das ist jetzt also die Bundespolizei“, fasst Lorenz den neuen Job zusammen. „Flüchtlinge verhaften und sie dann nach Hause schicken.“
Die beiden Neulinge rebellieren mit kleinen Akten der Nächstenliebe. Doch die Flüchtlinge sind bloß ein Teil des Puzzles. Schnell lassen die Ermittlungen ein internationales Netz aus Passfälschern, Unternehmen, Milizen, Menschenhändlern und Waffenschmugglern erahnen – die der Polizei technisch weit überlegen sind. Die Drahtzieher verstecken sich hinter Platinen und Kameras. Hilflos starren die beiden Ermittler hinauf in den Himmel zu bewaffneten Drohnen und Satelliten. Rückverfolgung nicht mehr möglich. Hier versickert jede Spur.
Wer war der Täter?
Ein Profi-Killer (André Hennicke) ist für die Gas-Explosion verantwortlich, bei der auch Falkes ehemalige Kollegin starb. Doch das voll digitalisierte Verbrecher-Netzwerk ist eine Hydra. Wo ein Kopf fällt, wachsen zwei neue nach. Ein Kampf, den Falke und Lorenz nur verlieren können. Wer tatsächlich hinter dem Mord-Auftrag, dem Menschenhandel und den Waffenlieferungen steckt, können sie nicht klären. Das ist zwar nicht besonders befriedigend, aber absolut folgerichtig.
Die besten Sprüche?
„Alter, die sind im Container hergekommen!“, raunzt Falke einen Kollegen an, der ohne jedes Einfühlungsvermögen versucht hat, die Flüchtlinge im Stuhlkreis zu befragen. Falke nutzt die Versammlung stattdessen und bringt ihnen in einer schnellen Deutsch-Stunde das einzig wichtige Wort bei: „Asyl“. Eine Kurzschluss-Handlung ohne Aussicht auf Erfolg, aber ein sympathisches Zeichen von Menschlichkeit.
Wie waren die Schauspieler?
Meist glaubhaft, oft hervorragend. Wotan Wilke Möhring wird zwar bis zur Grenze des Kitschs als einsamer, norddeutscher Wolf in Szene gesetzt, das verzeiht man dem punkrock-liebenden Kommissar aber wegen seiner paranoiden Ausbrüche. Herrlich unsympathisch: Sascha Alexander Gersak als pflichtergebener, neidzerfressener Kollege Carstens. Charismatisch: Die Verbrecherseite mit André Hennicke als Auftragsmörder und Jimmy Jean-Louis – bekannt aus der US-Serie „Heroes“ – als kongolesischem Milizionär, der über Skype mit schwerbewaffneten Kollegen chattet.
Was hätte man sich sparen können?
Das Happy-End für den alleinerziehenden Vater aus dem Kongo ist nicht nur unglaubwürdig, sondern stört auch die mit viel Mühe konstruierte dystopische Stimmung. Noch mehr Mut zur Hoffnungslosigkeit wäre wünschenswert gewesen.
Außerdem verzichtbar: Der Nerd im Kontrollzentrum des Verbrechersyndikats. Dass in dieser Welt nicht mehr Muskeln, sondern Gehirnzellen und Bytes zählen, ist auch ohne Brillenträger im Cardigan klar.
Fazit:
„Kaltstart“ verliert gelegentlich Einzelheiten aus dem Blick, schneidet aber die großen Baustellen der Globalisierung an: an ihren Dimensionen gescheiterte Bauprojekte, illegale Migration, Waffenhandel und die allumgreifende Überwachung á la NSA. Am Ende gelingt das Gefühl der Überwältigung, der Hilflosigkeit angesichts der Komplexität der Welt.
Ein würdiger Auftakt bei der Bundespolizei. Die Ziele sind gesetzt: Hier ist Platz für die großen Themen – Bauernhof-Morde und Präsidiums-Tratsch wird es in den anderen Tatorten schon noch geben. Gerne mehr davon!