Tagung Tagung: Suche nach Weltwissen und Flucht vor Barbaren
OSTRAU/MZ. - Um der Hatz auf die "Junker" zu entgehen, war für Hans Hasso von Veltheim, letzter Schlossherr auf Ostrau, ein Kohlenzug der einzig verbliebene Fluchtweg. Mit 40 Grad Fieber verließ er am 1. November 1945 das Elisabethkrankenhaus in Halle, schlug sich nach Hötensleben durch und versteckte sich im Braunkohletagebau, der damals noch bis Niedersachsen reichte. Er überquerte die Demarkationslinie in einem Waggon, im Köfferchen die letzte Habe.
Nie mehr zurückerlangen sollte er auch seine einst stabile Gesundheit. Was ihm an Lebensjahren bis zu seinem Tod am 13. August 1956 verblieb, war überschattet von Herz- und Lungenkrankheit. Doch wie seine Sekretärin berichtet, starb er als der "Grandseigneur", der er war. Er hinterließ Zeugnisse eines geistigen Besitzes, der auch vor seiner Vertreibung nie materiell an sein Schloss gebunden war, trotz der Kunst und der Bücher, die er dort zusammengetragen hatte.
120 Jahre alt wäre Hans Hasso von Veltheim am 15. Oktober geworden. Aus diesem Anlass veranstaltete das Germanistische Institut der Uni Halle gemeinsam mit der Ostrau-Gesellschaft und dem dortigen Kulturverein eine Tagung im Schloss. Und da war es nicht zuletzt eine von Veltheims Schriften der Nachkriegszeit, die zu neuen Einsichten zum Leben und Wirken dieses umfassend dokumentierten Kunsthistorikers, Schriftstellers, Asienforschers, Freigeists, Anthroposophen und Sympathisanten der Verschwörer vom 20. Juni beitrug.
Tagungsleiter John Palatini (Uni Halle) zog die "Aphorismen" zu Rate, die Veltheim nach seiner Flucht verfasst hatte. Auf gut 70 Seiten des maschinenschriftlichen Manuskripts vibriert spürbar sein Zorn auf die barbarischen Horden, die unter der Fahne der Bodenreform uralte Werte vernichteten. Für Palatini kennzeichnet die Schrift den einen Pol in der Persönlichkeitsstruktur Veltheims, die zwischen Adel und Bürgertum pendelt.
Denn die Frage stellt sich, wie der Aristokrat zu seinen Wurzeln stand, der auf Jagd und Ehe verzichtete und mit Feuereifer nach Bildung strebte. Er sammelte nicht nur Bücher, er arbeitete sie ohne jeden bibliophilen Respekt durch, unterstrich Passagen und machte Randnotizen - zum Leidwesen seines Biographen, Karl Klaus Walther, der als Bibliothekar an der Unibibliothek Halle seinen Nachlass durchforstet hat.
Veltheim reiste nicht zum gepflegten Vergnügen, sondern auf der Suche nach dem Weltwissen. Auf der indonesischen Insel Bali glaubte er in Trancezuständen der Tänzer zur östlichen Wahrheit vorzudringen. Dieser wähnte er sich auch in Korrespondenz mit damals hoch geschätzten Philosophen wie Krishnamurti auf der Spur.
Dass Veltheim dennoch im Adel zutiefst verwurzelt blieb, zeigt sich deutlich in den Aphorismen. Das "entwurzelte" Proletariat, glaubt Veltheim, will den Adel brechen, indem es dessen Bindung an das Land kappt. Adel aber erweist sich aus seiner Sicht als überzeitliche Ordnung und Gegenpol zur Masse. Veltheim offenbart sich, bei aller zur Schau getragenen Individualität, als zutiefst konservativer Geist. Zu dessen Werten gehörten freilich auch der Anstand und die Solidarität, die er im Nationalsozialismus den Verfolgten erwies.
Schloss Ostrau wird mit denkbar bescheidenen Mitteln vom lokalen Verein gepflegt und darf auf Zuwendung für den Park hoffen, der ins Landesprogramm "Gartenträume" aufgenommen ist. Die Tagung war überfällige Erinnerung, dass das Herrenhaus zu den Leuchttürmen im Land zu zählen ist.