"Super. Mein Leben" "Super. Mein Leben": Friedrich Liechtenstein veröffentlicht Biographie

Diese Friedrich-Liechtenstein-Slogans haben es in sich: „Verzeihen Sie mir bitte, dass ich in meiner Fantasie ein wenig größer und schöner geworden bin.“ Oder: „Leichtigkeit ist nicht mein Problem“. Oder der hier: „Stil ist Schicksal“. So wohlklingend wie vielseitig anwendbar.
Ein Spruch, der in seiner soeben als Buch erschienenen Biografie „Super: Mein Leben“ als Leitmotiv taugt, lautet: „Angezogen sieht er ja ganz süß aus“. Zum ersten Mal hörte er diese Worte 1956 von Verwandten, die den neugeborenen Hans-Holger Friedrich mit Mützchen, Wollhosen und Wolljäckchen sowie „Schlüpfschuhen mit aufmunternd schaukelnden Zierbommeln“ bekleidet hatten. Da klingt das auf einmal wie ein Seufzer der Erleichterung. Als hätte sie der Anblick von Hans-Holgers Nacktheit bestürzt.
Kleidung bester Qualität
Abgesehen davon, dass der Künstler in seinem Leben noch viele Gelegenheiten sucht und nutzt, um in Kleidung bester Qualität – nicht immer selbst gekauft – süß oder später sehr, sehr gut auszusehen, gibt es auch eine metaphorische Komponente, die seine Garderobe zu Kostümen werden lässt und seine Persönlichkeit in Rollen zwingt. Es gibt eine lange Passage in dem Buch, die erklärt, was in Hans-Holger Friedrich vorgeht, wenn man ihm ein Kostüm gibt, das ihm nicht so richtig passt, also eine Rolle überhilft, die er sich nicht selbst ausgesucht hat. Wegen seines Harmoniebedürfnisses und seiner charmanten Anschmiegsamkeit begibt er sich dennoch hinein − und dabei sei dann manchmal ganz schön schlechte Kunst herausgekommen. Oder eben auch − wer will das bei ihm trennen? − irrtums- und missverständnisbehaftete Lebensabschnitte.
Dass er aber ein großer, zumindest ein überzeugter Künstler ist – das hat Hans-Holger Friedrich im Lauf der Zeit immer tiefer verstanden und trotz des rätselhaft lang ausbleibenden Erfolgs konsequent gelebt. Bei aller Anschmiegsamkeit hat er so zu einer gewissen Kompromisslosigkeit gefunden. Er hat den Sitz im Alltag, auf dem wir herkömmlichen Wirklichkeitsinsassen uns niederlassen, immer wieder umgestoßen und ist in selbst entworfene Umgebungen hinaufschritten. Es ist vielleicht eher so, dass die Welt sich ihm anschmiegt als umgekehrt.
Unangenehmer als ein falsches oder fremdes Kostüm ist möglicherweise die Nacktheit des Selbstseins. Deshalb hat sich Hans-Holger Friedrich in immer neue Posen begeben, auf dass er angezogen aussehe. Seit über einem Jahrzehnt ist er nun schon als Popstar Friedrich Liechtenstein unterwegs. Er hat noch andere Figuren im Schrank: den Delfin-, den Telefon- oder den Algen-Mann, den Schmuckeremiten oder den Eskapisten im goldenen Zeppelin − lauter bestechende Verhüllungen, an denen Hans-Holger Friedrich sein Leben lang fleißig herumjustiert. So wie er stets seine Spruchsammlung auf den Lippen trägt und dieselbe sonor vor sich hinbrabbelnd vervollkommnet.
Diese Unzugänglichkeit einerseits und die von ihm selbst eingeräumte, nach Anerkennung lechzende Ich-Sucht haben den Künstler schon aus den schönsten Geborgenheiten fliehen lassen und in Phasen tiefster Einsamkeit und Ratlosigkeit gestürzt. Das fing − seiner Interpretation nach − bereits mit dem Kaiserschnitt und dem kurzen Aufenthalt im Wärmebettchen an und setzte sich mit der schönen Kindheit im realutopischen Stalinstadt (heute Eisenhüttenstadt) fort. Er rastete weitgehend widerstandslos in die Biografie ein, die jedem Bürger in der DDR mehr oder weniger vorbestimmt war; er wurde Koch, ging drei Jahre zur NVA und später an die Berliner Puppenspielschule. Immer wieder aber prüfte er die Passform seines Lebenskostüms, und wenn es sich als zu klein oder zu groß oder anderweitig unadäquat erwies, riss er sich los. Er ist von seiner Familie fortgegangen, er hat sich auch von der zweiten und dritten großen Liebe getrennt und manche überkommene Rolle für immer weggehängt. Und bis vor kurzem war er bei allem auch noch ziemlich arm, schlief bei Freunden und aß ihre Kühlschränke leer.
All diese wirklichkeitsabgewandte Melancholie schwingt übrigens mit, wenn man ihn in dem allseits bekannten Super-Geil-Werbespot etwas genauer betrachtet. Dieser Spot hat ihn in das Bewusstsein von sehr vielen Menschen katapultiert: Sicher weil man ihn einfach nur so lustig finden kann, aber vielleicht auch, weil man ahnt, was in dieser Figur alles steckt. Es wäre schade, Liechtenstein jetzt wieder aus dem Bewusstsein ziehen zu lassen, nur weil man den Spruch mit dem supergeilen Dorsch nicht mehr hören kann und findet, dass die zweite Supermarkt-Werbung nun wirklich nicht an das Original herankommt. Dieser Spot, so sagt Liechtenstein, „ist nichts weiter als ein Krümel auf dem gewaltigen Sofa meines Œvres“. Möge es sich zu einer Sitzlandschaft ausweiten.
Ideelle Sitzlandschaften
Kaum war Geld da, kam sein Konzeptalbum „Bad Gastein“ heraus. Es gibt ein schnelles Geschenkbuch „Selfie Man“ mit variantenreichen Spiegelblicken und mit vielen tröstlich sinnlosen Gedanken. Dann kam eine DVD „Super Leben“, die ein paar weitere Einblicke möglich machte. Und für die, die immer noch nicht genug haben, nun diese Lebensbeschreibung. Doch „Super: Mein Leben“ ist mehr als ein Merchandise-Produkt. Aufgeschrieben hat es der Schriftsteller und Journalist Joachim Bessing, der das Kunststück vollbringt, Liechtensteins beschwichtigenden Sound klingen zu lassen, dabei aber disziplinierter zu formulieren. Er hat die blubberschöne Gedankenwelt Liechtensteins behutsam in Zusammenhänge gebracht, die den Leser schon auch mal entsetzen können.