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Strawalde Strawalde: Weibsbilder mit Goldrand

Von Christian Eger 25.09.2003, 14:35

Halle/MZ. - Sollte irgendein Nachgeborener eines Tages wissen wollen, wie und warum es ein Künstler aushalten konnte, im Staate DDR zu leben, ohne ihm selbstverballhornend auf den Ideologie-Leim zu gehen, der wird auf den 1931 geborenen Jürgen Böttcher stoßen.

Stets auf Trab gehalten durch eine feudale Kulturpolitik von Zuckerbrot und Peitsche, wollte Böttcher zu keinem Zeitpunkt die DDR verlassen, die den Künstler wie unter Wechselstrom verbot, aussperrte, aber auch mit Preisen ehrte. Der DDR als dissidentischer SED-Genosse herzlich im Dauer-Clinch verbunden, hauste Böttcher als Künstler nah bei den Dingen und Menschen, er pflegte keine Ideen über Ideen (wie der Propaganda-Apparat des Staates), sondern er hatte seine Ideen von dem, was ein Stück Natur sei, egal ob Pflanze, Muschel oder Stein - und dem, was ein Mensch sei, egal ob als Geliebte, Kind oder Arbeiter in wechselnder Gestalt. Dieser recht eigentlich naive Weltzugriff machte Böttcher zum Maler unter dem Pseudonym Strawalde und unter seinem bürgerlichen Namen zum avanciertesten Dokumentarfilmer der DDR.

Zur Kunst kam Böttcher, der im Oberlausitzer Flecken Strahwalde aufwuchs, wie zum Sozialismus - über die Gräuel des Endkrieges: Sein älterer Bruder wird - aus Versehen - von den eigenen Volkssturm-Leuten erschossen. Der Hitlerjunge Jürgen B. vergräbt die Leichen, mit denen das Land um Strahwalde übersät war. Er sieht das tote Dresden und tritt mit 17 in die KPD ein. Darüber hat Böttcher oft gesprochen und auch, wie ihn dieses Erlebnis in die Parallelwelt der Künste trieb. Seine ersten Zeichnungen fertigt er nach Fotos der in Strahwalde Gefallenen.

Nach dem Studium der Malerei in Dresden, leitet Böttcher, der als Künstler dem "Formalismus"-Verdikt zum Opfer fiel, über drei Jahre einen inzwischen legendären Zeichenzirkel der Volkshochschule: zu seinen Schülern gehört Ralph Winckler, der als A. R. Penck im Westen zu Weltruhm gelangen sollte. Böttcher aber entscheidet sich, weil er mit der Kunst als seiner Herzenssache keine Kompromisse eingehen will, für ein Studium der Filmregie in Potsdam.

So viel Vorspruch ist notwendig, um sichtbar zu machen, worin das Interessante der Strawalde-Kunst besteht: in der Zwei-Gehäusigkeit des Mannes als Maler und Filmer sowie als DDR-Bejaher und -Dissident, aber eben nie als letztgültiger Oppositioneller. In der Ausstellungshalle Plagwitz sind nun auf rund 1 600 Quadratmetern Werkshalle großformatige Gemälde der vergangenen zehn Jahre sowie vier Dokfilme (u. a. "Drei von Vielen" und "Kurzer Besuch bei Hermann Glöckner") zu sehen. Das ist zum einen der altbekannte, von der Arte Povera her kommende Strawalde, der Holz und Stein, Textil und Insekt ("Mottenfänger", 1999) in pastöse Ölgründe bindet; da sind meditative Schriftbildnereien asiatisch inspirierter Zeichen-Ketten ("Überlieferung", 1993); da sind die dann doch oft nur privatistisch und hermetisch murmelnden "Tagebilder", die die Stimmung eines jeweiligen Datums in Farbe fangen. Im Zentrum der Schau aber steht der Ende der 90er Jahre entstandene Zylkus "Anna Chron und andere Frauenbilder", der dem sinnlich-zeichenhaften Strawalde eine figürliche Gestalt hinzugesellt.

Viel frei ausschreitende Bedeutung auch hier: "Anna Chron" meint ja auch das "Anachrone", also die gegenläufige oder falsch geordnete Zeit. Und das, was trotzdem übrigbleibt: Schönheit, Liebe, Kunst. Stilistisch bedient sich Strawalde bei Renaissance-Malern wie Botticelli, sein Ur-Vorbild Picasso ist nirgends zu übersehen. Wo aber liegt das Scharnier zwischen Kunst und Malerei? Es liegt in einem naiv-epischen Welterleben: Im sprechen lassen der Dinge und nicht etwa in einem über diese hinweg reflektieren. Böttchers Dokfilme teilen diese Tendenz: Seine besten Filme - u. a. "Rangierer" (1984) und "Die Mauer" (1990) - kommen ganz ohne Gespräch und Kommentar aus.

Kunst und Film eignet bei Böttcher etwas traumwandlerisch Selbstvergessenes. Und da ist als Erbe der Nach-45er-Gegenwart stets auch etwas Gebremstes, Verlangsamtes, Verkapseltes und Undine-haft Trauriges: das Seelenfutter eines Künstlers im Gehäuse DDR. Mehr als eine neue Bilderschau, ein neuer Gedenk-Preis oder ein Zeitzeugen-Podium mit Böttcher-Strawalde wäre endlich das notwendig: eine Video-Edition seiner ?? Filme.

Bis 3. 11.: Ausstellungshalle Plagwitz, Leipzig, Zschochersche Straße 79 e, Mo-Fr 14-19 Uhr, Sa 10-14 Uhr; Katalog, 18,50 Euro.