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«Stelzenfestspiele bei Reuth» «Stelzenfestspiele bei Reuth»: Greif zur Fiedel, Kumpel!

Von Andreas Hillger 01.07.2007, 17:43

Stelzen/MZ. - Und wie ein "Bettelsack mit neun Buchstaben" sei er sich auf der Suche nach Geldquellen manchmal vorgekommen. Wer so schöne Sätze kennt, erfindet auch treffende Namen. Etwa: Stelzenfestspiele bei Reuth!

Ein Hauch von Walhall

Wenn man das schnell genug ausspricht, klingt es nach Wagner und Walhall. Dieser Hörfehler ist natürlich gewollt - zumal in dem 180-Seelen-Dörfchen Stelzen im Vogtland seit diesem Wochenende eine Festspielscheune steht. Dass sie am Freitag mit einer Neuauflage der bereits legendären Landmaschinensinfonie eingeweiht werden konnte, ist das jüngste der Reihe von Wundern, die sich im Herzen der Provinz ereignet haben.

Dem ältesten - einem Baum, der aus dem verdorrten Stab eines Hirten gewachsen sein soll - verdankt der Ort angeblich seinen Namen, das nachhaltigste liegt tatsächlich im fortdauernden Crescendo der Festival-Resonanz. Als Schneider wenige Jahre nach der Wende erstmals zu Konzerten lud, hätte man sie nach seiner Erinnerung auch im Dorfkrug abhalten können. Inzwischen ist selbst die Scheune, deren letzte Dachsparren drei Stunden vor dem Auftakt vernagelt wurden, zu klein für den Ansturm von geschätzten 1 000 Gästen. Auf Bierbänken hockt die Dorfjugend neben zugereisten Afficionados - und auf der Bühne sitzt der Frack so perfekt wie das Holzfällerhemd.

Es ist das respektvolle Miteinander von Profis und Laien, die selbstverständliche Harmonie zwischen Virtuosen und Dilettanten, die diesen Auftakt prägt. Da bearbeitet ein Perkussionist ein urwüchsiges Xylophon, das von Männern mit Motorsägen neu gestimmt wird. Da greifen Zimmerleute zur Geige und Holzbläser zur Schaufel, da singt ein Kfz-Mechaniker "Nessun Dorma" und Klangerfinder Erwin Stache musiziert mit Autositzen.

Ein besseres Beispiel für die Früchte des bürgerschaftlichen Engagements kann sich die Bundeskulturstiftung nicht wünschen. Und deshalb hat sie die Stelzenfestspiele nicht nur gefördert, sondern auch zum Ziel einer Landpartie für Kultur-Initiativen aus Ostdeutschland erkoren. So sitzen die Theatermacher und Galeristen, Festivaldirektoren und Musiker am nächsten Tag auch in der Uraufführung der Oper "La Neuberin" - und erleben nach dem erfrischenden "Impulsreferat" des Auftakts ein Beispiel für die Risiken und Nebenwirkungen der willkommenen Förderung.

Das Stück über die Theaterprinzipalin Friederike Caroline Weißenborn (1697-1760), das der Autor (und Landwirt) Klaus Rohleder mit Glückskloß in der Kehle ansagen darf, sollte eigentlich schon vor Jahren in Stelzen uraufgeführt werden - und kommt nun auf Umwegen aus Italien als Kammeroper zurück. Doch obwohl der junge Komponist Joe Schittino eine weltläufig-geläufige Partitur für Bläserquartett, Klavier und Schlagwerk verfasst hat, fremdelt das Werk in italienischer Übersetzung. Es ist eben doch nicht egal, ob man sich zum Hanswurst oder zum Arlecchino macht - und ob man aus Catania oder aus Reichenbach stammt.

Schöpfung im Walde

Am Abend dann - nach Paul-Gerhardt-Jazz und Klangexperimenten, nach Ausstellungsbesuchen und Festspielkuchen - ist alles wieder gut. Joseph Haydns "Schöpfung" wirkt im Waldidyll wie selbst erfüllende Prophezeiung und wie programmierte Störung zugleich, "der reizende Gesang" findet sein Echo in den Zweigen und "das Heer der Insekten" lässt sich nicht zweimal bitten. Im Unterholz glüht bonbonbunt die Lichtinstallation von Uwe Renken - und Henry Schneider, der Bratscher, sitzt mit dem Festspielorchester glücklich vor dem Chor der Oper Leipzig. Bedenklich? Im besten Sinne!