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Sowjet-Diktator Stalin: Was geht uns der Sowjet-Diktator heute noch an?

Von Andreas Montag 03.03.2018, 17:29
Da ist er wieder! Eine Stalin-Statue wird am 23. Januar 2018 anlässlich der Ausstellung der Gedenkstätte Hohenschönhausen über den Stalin-Kult in der DDR kurzzeitig am früheren Standort in der Karl-Marx-Allee in Berlin aufgestellt.
Da ist er wieder! Eine Stalin-Statue wird am 23. Januar 2018 anlässlich der Ausstellung der Gedenkstätte Hohenschönhausen über den Stalin-Kult in der DDR kurzzeitig am früheren Standort in der Karl-Marx-Allee in Berlin aufgestellt. dpa

Berlin - Nach Berlin-Hohenschönhausen, an der östlichen Peripherie der Hauptstadt gelegen, muss man schon wollen. Die Gegend, wo mit dem berüchtigten Stasi-Knast einer der Schreckensorte der DDR lag, ist flächig zersiedelt, von Charme keine Rede.

Immerhin: Das frühere zentrale Untersuchungsgefängnis der Mielke-Truppe ist eine Gedenkstätte geworden. Wer das berüchtigte „U-Boot“ noch nie gesehen hat, den Kellertrakt mit winzigen, fensterlosen Zellen - hier kann er das Fürchten lernen.

Neben der Dauerausstellung, die das Funktionieren des Stasi-Unterdrückungsapparates anschaulich belegt, gibt es bis zum 30. Juni eine Sonderschau zu sehen, die sich unter dem Titel „Der rote Gott“ mit dem Kult der frühen DDR-Jahre um den Sowjet-Diktator Josef Stalin beschäftigt.

Stalin als selbst gewählter Kampfname

Das Thema mag einem zunächst fern liegend erscheinen. Stalin, „der Stählerne“, so sein selbst gewählter Kampfname in deutscher Übersetzung, ist vor 65 Jahren, am 5. März 1953, unweit von Moskau gestorben - auf der Höhe seiner absolutistischen Macht, aber mit 75 auch schon deutlich im Herbst des Despoten.

Selbst seine speichelleckenden Mittäter haben ihm keine Träne nachgeweint. Sie waren auch viel zu beschäftigt damit, den Alten zu beerben. Am Ende hat Nikita Chrustschow das Rennen gemacht, nicht der finstere Lawrenti Berija, der von Stalin mit der Lizenz zum Töten ausgestattete Geheimdienstboss.

Makabre Logik des blutigen Machtspiels: Der Schurke Berija wurde nach Stalins Tod von seinen Genossen entmachtet, nach einem Geheimprozess wegen angeblicher Spionage am 23. Dezember 1953 zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tage hingerichtet. Shakespeare lässt grüßen. Aber wie soll auf derart verseuchtem Boden etwas wachsen, das den Menschen eine menschliche Zukunft bietet?

Stalin, der „Generalissismus“, der General unter den Generälen, und „Vater der Völker“ von eigenen Gnaden - er war alles andere als das: Ein böser Vater nämlich, der sich grausam für die Prügel rächte, mit denen ihn sein trinkender Erzeuger einst „erzog“.

Gruselig, aber lange vorbei? Nun, immerhin gibt es mit dem irren Kim in Nordkorea, der wahrscheinlich gar nicht so irre, sondern vielmehr zynisch und machtgeil ist, noch einen aktuellen „Führer“ von Stalins Format.

An Pol Pot, den „Bruder Nummer 1“, der aus Kambodscha in den 1970er und 1980er Jahren einen Friedhof des eigenen Volkes machte, erinnert man sich noch. Und längst wachsen aus national-populistischen Strömungen Diktatoren neuen Typs wie etwa der türkische Präsident Erdogan.

Auf Linie gebracht

Die sklavische Verehrung Stalins durch Walter Ulbricht und seine Ostberliner Genossen hat etwas von anerzogener Wesenheit - erworben im Gehorchen und in der Angst. Das ist die Hybris einer Gesellschaft, die nach der Befreiung von der NS-Diktatur zwangsweise nach sowjetischem Bild gefügt wurde. Und oft ist der Riss durch eine Person gegangen, die vom Stalinisten zum Opfer des Stalinismus wurde.

An prominenten Beispielen fehlt es nicht, schon im Moskauer Exil der deutschen Kommunisten. Die waren spätestens 1925, mit der alleinigen Regentschaft Ernst Thälmanns, auf die Linie der Komintern eingeschworen worden, der internationalen kommunistischen Organisation, die dem wechselvollen Kurs Stalins getreulich folgte.

Während Thälmann dann in deutscher Haft war und 1944 im Konzentrationslager Buchenwald ermordet wurde, saßen Ulbricht, Pieck und auch der spätere „Renegat“ Herbert Wehner (ein in der Bundesrepublik umstrittener, wegen seiner rhetorischen Schärfe aber auch bewunderter SPD-Politiker), im Moskauer Hotel „Lux“, der berühmt-berüchtigten Edel-Emigranten-Herberge, und fürchteten sich in jeder Nacht, dass auch sie vom sowjetischen Geheimdienst als „Verräter“ oder „Agenten“ abgeholt würden. Sie lieferten wohl auch selbst Genossen ans Messer, um ihr eigenes Leben zu retten. Oder sie versuchten zumindest nicht, den Terror zu stoppen.

Stalinisten und ihre Erben haben die Opfer gelegentlich halbherzig rehabilitiert

Es muss gespenstisch gewesen sein. In den Erinnerungen von Margarete Buber-Neumann, der Witwe des KPD-Chefideologen Heinz Neumann, kann man es nachlesen. Neumann, der als einer der maßgeblichen Drahtzieher der 1931 verübten Polizistenmorde vom Berliner Bülowplatz genannt wird (für die Ex-Stasi-Chef Mielke 1993 zu sechs Jahren Haft verurteilt worden ist), fiel 1937 den stalinistischen „Säuberungen“ zum Opfer. Dies geschah wohl vor allem deshalb, weil Neumann 1932 von der Linie Stalins und Thälmanns abgerückt war, die in den Sozialdemokraten („Sozialfaschisten“) den Hauptfeind sahen, nicht in den Nazis.

Später haben sich die SED-Granden von Neumann distanziert - wegen dessen vermeintlichen oder tatsächlichen Sympathien für den Linksterrorismus. Und noch einmal später haben sie RAF-Täter versteckt...

Die Stalinisten und ihre Erben haben die Opfer zwar gelegentlich halbherzig rehabilitiert, ohne aber das paranoide System selbst ernsthaft infrage zu stellen. Ehemalige Genossen, die sich angeekelt abgewandt hatten wie Herbert Wehner oder der spanische Schriftsteller und Buchenwald-Häftling Jorge Semprún, wurden zu Feinden erklärt.

Der Antisemitismus im Kommunismus

Paul Merker, Spitzenfunktionär der KPD, Emigrant und später zunächst Mitglied des höchsten SED-Gremiums, des Politbüros, traf es besonders hart: Er saß von 1953 an zwei Jahre lang im Stasi-Knast Hohenschönhausen ein und wurde dann, nach nicht öffentlichem Prozess, zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt - unter anderem, weil er sich an einer „zionistischen Verschwörung“ beteiligt haben sollte. Tatsächlich war Merker für die Schaffung eines jüdischen Nationalstaates eingetreten.

Der Antisemitismus im Kommunismus, ein mitentscheidendes Motiv bei Stalins „Säuberungen“, ist ein besonders heikles Thema, eines der wenigen verbliebenen Tabus. Denn hier begegnen sich Nazis und Stalinisten und reichen einander, ungeachtet ihrer Todfeindschaft, die Hände - wie es auch beim Hitler-Stalin-Pakt der Fall war, in dessen Folge die beiden „Führer“ das souveräne Polen unter sich aufteilten.

Gestürzte Statuen von Josef Stalin

Am 17. Juni 1953 beginnend, demonstrierten Arbeiter in der DDR gegen Stalins willfährige Vollstrecker, Statuen wurden gestürzt. Aber vom Kult um den Diktator konnten Ulbricht und seine Vertrauten erst Anfang der 1960er Jahre lassen - wenigstens offiziell. Das war später als in der Sowjetunion selbst. Und immer halbherzig. Noch bei der Ausbürgerung Biermanns im Jahr 1976 und der Verfolgung aufmüpfiger Intellektueller juckte es den Honeckers und Mielkes bis in die Achtziger in den Fingern. Sie rochen den Feind. Und Feinde mussten vernichtet werden. Wie sie es gelernt hatten.

Keinesfalls hätten die Rückkehrer aus dem kommunistischen Asylland Sowjetunion Befähigungen, Erfahrungen und Kenntnisse mitgebracht, um nach der NS-Diktatur in Nachkriegsdeutschland „eine offene und demokratische Gesellschaft und Staatsform zu gestalten“, schreibt der Historiker Peter Erler im Begleitbuch zur Berliner Ausstellung. So ist es gewesen.

››Ausstellung bis zum 30. Juni, 13055 Berlin, Genslerstraße 66, tägl. 9-18 Uhr, Eintritt frei; Begleitbuch „Der rote Gott“, Lukas-Verlag, 75 Seiten, 20 Euro (mz)