Staatliche Galerie Moritzburg Staatliche Galerie Moritzburg: Rotes Band am Horizont
Halle/MZ. - Kalter Krieg und geteilte Welt, aber auch Umweltverschmutzung und Konsumrausch: Die 60er Jahre stehen für manchen Umbruch, und so auch in der Kunst. Der Epoche ist in einem Gemeinschaftswerk von Städtischer Galerie Karlsruhe und der Staatlichen Galerie Moritzburg eine Ausstellung gewidmet, die sich dem Geschehen aus rein europäischer Perspektive widmet, aber auch auf eine Strömung fokussiert, die den künstlerischen Wandel verdichtet, nämlich die Pop Art.
Die Rückkehr zur figurativen Kunst ist in der Tat ein Wesensmerkmal der Zeit. In "Europaweit" bildet sie die Folie für eine Erkundung, die nicht zuletzt in den Osten geht. Das Außergewöhnliche des Querschnitts ist der Einblick in die inoffizielle, im damaligen Sprachgebrauch wohl Dissidenten-Kunst jener Zeit in Osteuropa.
Der aus Polen, Ungarn, Jugoslawien, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion zusammengetragene Stoff aus abseitigen Zirkeln und totgeschwiegenen Künstlerleben ist zu seiner Zeit kaum über seine inneren Kreise hinaus gedrungen. Jetzt erscheint er immer noch frisch und frappierend. Es pulst da eine subversive, unbekümmerte Ader, der vorgeschriebenen, ganz anderen Kunstauffassung und Weltsicht entgegengesetzt.
Erik Bulatov, zum Beispiel: Der vormalige Moskauer Maler und Grafiker legt auf einem Bild von Strandgängern ein Lenin-Ordensband über den Horizont. Der Jugoslawe Braco Dimitrijevi´c dokumentiert, wie er sein Passfoto überlebensgroß auf eine Plane aufgezogen und hoch an einem öffentlichen Gebäude festgebunden hat. Von der Warschauerin Ewa Partoum ist eine Aktion lebensgroß (mitsamt Baum) nachgestellt, bei der sie die aufgeklebten Buchstaben politischer Transparente aus dem Laub herabregnen lässt.
Es ist in solchen künstlerischen Äußerungen immer noch jener Wille spürbar, das eigene Individuum gegen jede gesellschaftliche Vereinnahmung zu verteidigen. Darin lag der Kern des Aufbegehrens unter den unangepassten Künstlern der sozialistischen Welt.
"Europaweit" will aber diese Strömungen in den Kontext des großen westlichen Aufbegehrens stellen, das sie in der Pop Art erkennt. Dazu ermittelt sie die Bandbreite an Spielarten, wie sie in Westeuropa entstanden, ob das David Hockneys kalifornische Swimmingpool-Bilder sind oder die stilisierten Menschen-Bilder der französischen Neuen Realisten oder die hyper-realistischen Foto-Gemälde bei Franz Gertsch. Es ist natürlich nicht zu übersehen, dass in Osteuropa die Welle zwar herüber schwappte, aber nicht vordergründig zu einer Ausdrucksform werden konnte.
Im Westen beherrschte die Abkehr von der vorherrschenden Nachkriegs-Avantgarde der Abstrakten die Tagesordnung, es ging um Konsumkritik und auch Konsumfreude. In der Reihe der reinen Pop-Jünger finden sich versprengt auch einige artgetreue osteuropäische Repräsentanten, in der DDR etwa Willy Wolff und Wasja Götze (letzterer nicht vertreten). Osteuropäische Dissidenten verhandelten in der Mehrzahl ganz andere Sorgen.
Ob die Klammer der Pop Art etwas bisher Übersehenes zum deutsch-deutschen Kunstgeschehen erfasst, das ist doch zu bezweifeln. Bei den Vorzeigekünstlern, die mit Beispielen wie Sittes "Am Schaltpult", Mattheuers "Sisyphus" oder Tübkes "Sizilianischem Großgrundbesitzer" antreten, ist eine Linie zur Pop Art allenfalls untergeordnet wahrnehmbar.
Das Bekenntnis zur Figürlichkeit und zum Realismus war in der DDR von Anfang an Programm und kein Umbruch wie in Westdeutschland. Dass sich in der DDR in den 60er Jahren die Inhalte wandelten, rührt zwar von der vertieften Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit her, aber mit einem Impuls aus der Pop Art ist das doch schwerlich zu erklären. Die ostdeutschen Dissidenten, die mit zahlreichen Blättern von Carlfriedrich Claus und Altenbourg viel Raum einnehmen, führten denn auch ein Eigenleben, das selbst in der isolierten Moskauer-Untergrundszene als eigenbrötlerisch angesehen worden wäre.
Die osteuropäische Schiene erweist sich als ungemein verzweigt. Sie zeigt ein Phänomen von hoher Eigenart und vielgestaltiger Ausprägung, die im Blick auf die 60er Jahre nicht mehr fehlen darf. Das ostdeutsche Geschehen bewegte sich in viel engeren Bahnen.
Ausstellung bis 6. Januar 2003, Di 11-20.30, Mi-So 10-18 Uhr. Katalog 23 Euro. Eröffnung am Sonntag um 15 Uhr. Um 19 Uhr Vortrag von Eckhart Gillen. Umfangreiches Film-Programm zum Thema DDR in der Moritzburg und im Lux-Kino am halleschen Zoo.