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Spanien hat nach 250 Jahren eine Hymne zum Mitsingen

Von Jörg Vogelsänger 11.01.2008, 16:43

Madrid/dpa. - Bei internationalen Sportveranstaltungen gab es seit jeher stets das gleiche Bild: Während Athleten anderer Länder auf dem Siegertreppchen oder dem Spielfeld mehr oder weniger inbrünstig ihre Nationalhymne sangen, blieben die Spanier stumm.

Allenfalls ein Summen war zu vernehmen, wenn das Mikrofon nah genug heranging. Damit ist künftig Schluss: Nach fast 250 Jahren erhält die spanische Hymne einen Text und kann endlich gesungen werden. Kaum waren die vier Strophen am Freitag jedoch publik geworden, kamen erste Proteste der politischen Linken: Der Text wirke antiquiert und entspreche nicht den Werten eines modernen Staates, so der Vorwurf.

Die Initiative war vom Nationalen Olympischen Komitee (NOK) ausgegangen. Es wollte spanischen Sportlern endlich die Möglichkeit geben, die im Jahre 1761 von Manuel Espinosa komponierte Melodie auch zu singen. Zusammen mit der Autorenvereinigung SGAE wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, mehr als 7000 Vorschläge gingen ein. Die Entscheidung sollte eigentlich erst Ende nächster Woche bekanntgemacht werden, doch der Text wurde der Presse zugespielt, was dem NOK und der Jury unter Leitung des renommierten Musikwissenschaftlers Emilio Casares nicht gefiel - zumal nun schon Streit herrscht, bevor die Hymne am 21. Januar erstmals feierlich vom spanischen Startenor Plácido Domingo bei einer NOK-Sportgala in Madrid gesungen wird.

So wusste die Zeitung «ABC» zu berichten, dass der Text mit den Worten «Viva España!» (Es lebe Spanien) beginnt. Danach heißt es: «Lasst uns alle gemeinsam singen, mit unterschiedlicher Stimme aber einem einzigen Herzen.» Dies wird als Hinweis auf die Pluralität eines Landes verstanden, in dem Basken, Katalanen oder Galicier auf größere Eigenständigkeit dringen - und sogar eigene «Nationalmannschaften» fordern. Auch spricht der Text von Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden und Vaterlandsliebe. Als Autor wurde ein 52 Jahre alter Arbeitsloser vorgestellt. «Den Text habe ich für die gewöhnlichen Bürger geschrieben, die wie ich U-Bahn fahren», sagte Paulino Cubero, der sich als «Verlierer» bezeichnete.

Die politische Linke fühlt sich angesichts der Strophen jedoch an die Zeit der Franco-Diktatur (1939-1975) erinnert. Der «Generalissimus» war es auch gewesen, der die als «Königsmarsch» bekannte Melodie zur offiziellen Nationalhymne erklärte und die Spieldauer von einer Minute und 45 Sekunden festlegte. «Für mich klingt der Text völlig altertümlich», kritisierte Ex-Kulturministerin Carmen Calvo. «Mit den Werten eines Staates im 21. Jahrhundert hat er nichts gemein», ergänzte die Sozialistin und stellvertretende Parlamentspräsidentin. Für das Parteienbündnis Vereinte Linke (IU), dem auch die Kommunisten angehören, ist der Text schlichtweg «ranzig». «Das klingt nach einem Bolero aus dem alten Spanien», meinte IU-Chef Gaspar Llamazares. Die konservative Opposition begrüßte die Strophen dagegen.

Zunächst wird der Hymnen-Text nur bei Sportveranstaltungen zu hören sein. Mit einer Unterschriftensammlung soll aber erreicht werden, dass er künftig auch für alle offiziellen Anlässe gilt. Damit dies gelingt, müssen die Initiatoren zunächst eine Petition mit einer halben Million Unterschriften an das Parlament richten. Dann hätten die Abgeordneten das Wort. Angesichts des schon jetzt entbrannten Zwists scheint der Erfolg derzeit zumindest fraglich.