Silke Scheuermann Silke Scheuermann: «Der zärtlichste Punkt im All»
Halle/MZ. - Das sind ja Gebilde, wie im Fluge ergriffen, ein ausschwärmender Duktus, ein aber beileibe nicht schwärmerischer Rhythmus diktiert die Verse, macht sich das Metrum untertan, nicht umgekehrt. So soll es uraltersher auch sein im Gedicht. Silke Scheuermann - meist "zwiegestimmte Möwe" - "baut" nicht, sie durchkreuzt und umkreist ihren Feen- und Fluglinienbereich, sie kann auch treffsicher herabstoßen und Beute machen - die dann meist ins "wunderbarliche Vogelnest" (Grimmelshausen) ihrer Gedichtetitel geborgen wird. Es gibt, bei überwiegender Begeisterung, auch Stimmen, die Silke Scheuermann zu viel Flügelrauschen und "kleine spitze Schreie . . . / nach Art der Alarmanlagen" vorwerfen (und wohl auch zu wenig Froschperspektive?). Ich aber will mich freuen über solch seltenes Flügelgeräusch, darüber, dass es wieder überm sonst eher traurigen Revier erschienen ist.
Silke Scheuermann hat ein paar Stilhilfen zum Mitatmen und Zeilenspringen mittendrin in ihrem Vers: jähe Versalien ("jetzt schalten!") oder Binnenreime wie zottelige Wind-Echos, gerade verwehender Übereinklang, vermutlich des Glücks. Man musste also in ihrer Sprache fliegen lernen, gar nicht schwer! immer nur in ihre Gedichte ". . .springen / wie Superman"!
So endet ihr Eingangs-Gedicht "Flüsternde Dörfer", das aber im anderen Extrem spielt - der Wolken kratzenden Stadt, die ständig Sicherheit verspricht - welch seltsames Echo auch der Twin Towers bis zum Ground Zero des Wendlands mit seinen zuweilen wirklich noch flüsternden Dörfern - aber auch Castor-Behältern! Dies ist auch das Titel gebende Gedicht, aber Vorsicht! "Der zärtlichste Punkt im All" ist hier eine werbewirksame Behauptung der Städte! Gibt's denn in beiden Büchern überhaupt solche Punkte? Wer beim Lesen und Fliegen darin zuweilen glücklich wird, hat ihn gefunden. Frankfurt, Paris, "Leipzig aus Liebe".
Wer den schon so schönen, auch sehr traurigen, ganz heutigen "Lebens- als Liebesroman" von Silke Scheuermann hinter den Gedichten - und den eigenen gleich mit! - öfters im Fluge durchbuchstabieren möchte, braucht beide Lyrikbände - der jüngste fliegt noch besser - hat er doch bereits Hardcover-Schwingen von Suhrkamp!