Shakespeares «Was ihr wollt» in Hamburg
Hamburg/dpa. - Als komödiantisch-drastisches, sehr unterhaltsames Schauspielertheater ist Shakespeares Komödie «Was ihr wollt» am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg zu erleben.
Um die berühmten Identitäts- und Liebesverwirrungen auf der Fantasie-Insel Illyrien hautnah spürbar zu machen, lässt Regisseur Klaus Schumacher seine Darsteller mit vollem Körpereinsatz agieren - etwa auf einem Steg zwischen den Zuschauern im Parkett oder lautstark auf den Rängen. Unvermittelt brutal und unversöhnlich deutet Schumacher hingegen den Schluss - hier gibt es keinen Hauch von Glück. Bei dem turbulenten und oft witzigen Treiben treten die schwebend-traurigen und poetischen Aspekte des um 1600 geschriebenen Stücks eher in den Hintergrund. Das Premierenpublikum reagierte mit viel Gelächter und langem Applaus.
Die Bühne von Katrin Plötzky bleibt lange karg und kahl: Ein wie gekachelt wirkender Rundbau, aus dem die Einwohner Illyriens steigen, öffnet sich erst spät, um dann ein schwülstig-unwirtliches Feuchtgebiet mit wild wuchernden, blassroten Riesenblüten zu offenbaren. Zunächst spuckt ein Brunnen die junge Viola (Julia Nachtmann) nach einem Schiffsunglück in ihrer Schuluniform auf das Eiland, das von einem dunklen, langhaarigen Träumer namens Orsino (Marco Albrecht) regiert wird. Der tut nichts, außer sich nach der in Trauer um ihren Bruder erstarrten Gräfin Olivia (Ute Hannig) zu verzehren. Um für den Herzog den Liebesboten zu spielen, tauscht Viola Faltenrock und Kniestrümpfe gegen Männerkleider ein. Dabei verliebt sich Olivia in den vermeintlichen Cesario sowie Viola in Orsino.
Die Erwachsenenwelt, in die der sensible Teenager gerät, entpuppt sich schnell als Chaos aus Sehnsucht und eitlem Schmachten, aus Sex- und Machtgier. «Komm Fluch, wir wissen ja nicht, wer wir sind - was kommen soll, das kommt», bringt die mit Turban und Sonnenbrille gestylte Gräfin innere Verlorenheit und Ausgeliefertsein an die Triebe der Illyrer auf den Punkt. Wahre Liebe kann von solchen Menschen nur gedacht, gewünscht oder behauptet werden, nicht aber gefunden und gelebt. Allein der in seriöses Grau gewandete Narr (Jürgen Uter) hat den Durchblick. Gebeten, etwas vorzusingen, fragt er rhetorisch: «Was wollt ihr lieber? Liebeslied oder was mit Inhalt?»
Anrührend verkörpert Nachtmann eine zarte, reine Viola, die sich in ihrem Leben noch nie in derlei Händel hatte verstricken lassen. Hannig überzeugt als Olivia, die immerhin ihre modische Maske ablegt, als sie sich vom jugendlich-unschuldigen Cesario angezogen fühlt. Albrechts androgyner, weichlicher Herzog - laut Shakespeare im Grunde verliebt in die Liebe und nicht in die Frau - wandelt mehr als Schwärmer, denn als existenziell Leidender durch sein Reich.
Fast in den Schatten gestellt wird diese desorientierte Oberschicht allerdings von den derben Possen der Randständigen - Prügel- und Kopulationsszenen inbegriffen. Genüsslich spielen Katja Danowski als Maria, Tim Grobe als Sir Toby, Philipp Otto als Sir Andrew und Sören Wunderlich als Fabian den gnadenlosen Schabernack aus, mit dem sie dem unerträglich selbstverliebten Hofschranzen Malvolio (Samuel Weiss) einen Denkzettel verpassen. So gerät es zu einem umjubelten Höhepunkt des dreistündigen Abends, wenn Malvolio meint, einen an ihn gerichteten Liebesbrief seiner Gräfin zu lesen: In lässig arroganter Haltung, dann wieder wie betrunken schwankend und sabbernd, analysiert er das Schreiben stammelnd vor Begeisterung zu seinen Gunsten, vergießt sogar Tränen der Rührung über sich selbst. Lautstark und mit wüsten Beschimpfungen kommentiert wird dieses Fehlverhalten aus mehreren Logen von Toby und Co.
Nach der Pause gleiten die Machenschaften teilweise in Richtung Klamotte ab und Malvolio hängt, geschändet an Leib und Seele, am Schnürboden in den Seilen. Überdeutlich stellt der 43-jährige Regisseur Schumacher, der seit 2005 als Leiter des Jungen Schauspielhauses außerordentliche Erfolge feierte, in seiner ersten Arbeit am Großen Haus am Ende die Verletzungen seiner Figuren dar: Die Menschen, die da durch das Feuchtgebiet krabbeln, erscheinen voller Deformationen und blutiger Wunden, die Hand zum Bund fürs Leben reichen sie einander nicht. Viola und ihr verloren geglaubter, wieder aufgetauchter Zwillingsbruder Sebastian (Martin Wißner) müssen draußen bleiben: Vor ihnen schließt sich das Tor in eine Welt, die nicht zur Ordnung kommen kann.