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Schwule Kunst im Wandel der Zeiten

04.04.2017, 10:14

London - Verschlüsselte Liebesbotschaften, anziehende Körper, sensible Porträts und verdrehtes Rollenspiel waren die Waffen, mit denen homosexuelle Künstler über Jahrhunderte gegen gesellschaftliche Vorurteile und ihre eigene sexuelle Unterdrückung kämpften.

Die Galerie Tate Britain in London nimmt nun den 50. Jahrestag der Legalisierung von Sex zwischen homosexuellen Männern zum Anlass für die erste große öffentliche Ausstellung über schwule Kunst in Großbritannien. Die Schau „Queer British Art 1861-1967” läuft vom 5. April bis zum 1. Oktober.

Sie nimmt die Abschaffung der Todesstrafe für sogenannte abartige sexuelle Handlungen 1861 als Ausgangspunkt und endet mit der teilweisen Legalisierung von homosexuellem Sex 1967. „Zwischen diesen beiden gesetzlichen Meilensteilen liegen enorme gesellschaftliche, künstlerische und soziale Umwälzungen”, sagte Kuratorin Clare Barlow. Nach Angaben von Tate Britain-Direktor Alex Farquharson erklärt die „enthüllende Schau” die Relevanz der Künstler und ihrer persönlichen Geschichten für die Gesellschaft heute.  

Begonnen wird mit den „verschlüsselten Gelüsten” der angeblich so prüden viktorianischen Zeit. Bedeutende Maler wie Frederic Leighton oder Simeon Solomon schufen in einer „Welt der Zweideutigkeiten” Werke, die einer „homoerotischen Interpretation” offenstanden. In Anlehnung an die Bibel, die Antike oder die italienische Renaissance  konnten so häufig gleichgeschlechtliche Zuneigung oder etwa „die Darstellung von Jünglingen mit den sanften Konturen einer weiblichen Brust” trotz kritischer Stimmen gesellschaftsfähig werden, heißt es in der Ausstellung. Solomon wurde 1873 in einer öffentlichen Toilette verhaftet und verurteilt. Er starb 1905 in einem Armenhaus.

Abbildungen sizilianischer Jünglinge des deutschen Fotografen Wilhelm von Gloeden (1856-1931) sind in der Ausstellung zu sehen. Ein Porträt des verfolgten irischen Schriftstellers Oscar Wilde von 1884 wird erstmals öffentlich gezeigt. Es wird zum „emotionalen Effekt” von der Tür seiner Gefängniszelle flankiert - so Barlow.

Die Intellektuellen der Bloomsbury Group um Virginia Woolf, Vanessa Bell, Duncan Grant und anderen werden in ihren „unkonventionellen Dreiecksbeziehungen und selbstverständlichen Akzeptanz von gleichgeschlechtigem Sex” vorgestellt. Grants seinerzeit als „Alptraum” kritisiertes Gemälde von badenden Männern im Londoner Hyde Park und sein Porträt eines uniformierten Polizisten - dem Liebhaber des Erzählers E.M. Forster - werden gezeigt.

Der Fotograf Man Ray wird mit einem amüsanten Bonmot über Virginia Woolf von 1934 zitiert: „Ich musste ihr Lippenstift auftragen, wogegen sie sich zunächst wehrte. Aber ich habe erklärt, es hat nur technische Gründe und ist auf dem Foto nicht zu sehen.”

Über Bühnenrequisiten von rosa Bastperücken und Noel Cowards korallfarbenem Morgenmantel mit Monogramm führt die Ausstellung in Londons Vergnügungsviertel Soho, dem „Epizentrum der Homokultur” der 1950er und 1960er Jahre. Das stürmisch-bewegte Leben des Erfolgs-Dramatikers Joe Orton („Was der Butler sah”) mit seinem Partner Kenneth Halliwell und ihr tragischer Tod 1967 wird eingehend beleuchtet.

Die Ausstellung schließt mit den vergleichsweise expliziten Werken der inzwischen weltberühmten zeitgenössischen Künstler Francis Bacon und David Hockney. Die beiden Giganten der „Queer Art” hätten mit ihren „furchtlosen Darstellungen von gleichgeschlechtlicher Lust kontinuierlich die Grenzen des in der Kunst Möglichen getestet und damit neue bahnbrechende Wege eingeschlagen”, heißt es in der Tate.  (dpa)